Ersti-Survival-Guide

HERZLICH WILLKOMMEN Das Wintersemester hat begonnen, das heißt vor allem, dass die Uni wieder jede Menge neue Erstis begrüßt. Du bist neu an der Uni? Dann sind hier zehn (nicht ganz so seriöse) Tipps, die deinen Einstieg in den Uni-Alltag erleichtern könnten.

VON CHARLOTTE KÜMPEL

1. Hol’ dir eine Ersti-Tüte.
Der vermutlich wichtigste Tipp auf dieser Liste. Er gilt übrigens nicht nur für Erstis, sondern für jeden, der auf Gratis-Sachen steht. Jedes Semester aufs Neue werden Ersti-Tüten im Innenhof des Hauptgebäudes sowie im Juridicum verteilt, die meistens zwar zu 80% aus Flyern und Coupons bestehen, aber auch überlebenswichtige Dinge wie pizza.de-Kugelschreiber, Chips oder Energy Drinks enthalten. Um eine der begehrten Tüten zu bekommen, muss man jedoch meistens ganz schön lange anstehen, aber von nix kütt nix!

2. Bei einem leckeren Kölsch lernt man schnell Leute kennen.

Du hast die Ersti-Woche verpasst undkennst noch keine Kommilitonen? Keine Sorge, damit bist du nicht allein. Als Studierender hast du am laufenden Band (alkoholbasierte) Möglichkeiten, neue Leute kennenzulernen. Wenn deine Fachschaft cool ist, bietet sie auch während des Semesters Kneipentouren oder Flunkyballturniere an. Außerdem hat man jedes Semester die Chance, den sogenannten „Kneipenbachelor“ zu machen.

3. Finde dich mit BASIS ab.
Ganz ehrlich, BASIS ist schrecklich. Es gibt keinen Bonner Studierenden, der noch nicht an dem Vorlesungsverzeichnis verzweifelt ist. Grundsätzlich gilt: du bekommst fast nie, was du willst. Das hast du wahrscheinlich bereits bei der Veranstaltungsbelegung für das erste Semester erlebt.
120 Bewerber auf 30 Plätze? Standard. Falls du auch nur einen Kursplatz bekommen hast, den du wirklich haben wolltest, dann kannst du dich bereits ziemlich glücklich schätzen. Manchmal muss man die schlimmen Dinge im Leben einfach akzeptieren!

4. Lass dich auf jeden Fall mal vom Alle-mal-malen-Mann malen.
Alle mal was? Auch wenn dir dieser Mann noch kein Begriff ist, wirst du spätestens nach deinem ersten Abend in einer Bonner Kneipe wissen, wer gemeint ist. Auf den Bildern des Alle-mal-malen-Manns könnte man zwar meinen, dass die gemalten Personen immer eine gewisse Ähnlichkeit zueinander aufweisen, jedoch sollte sich jeder von der lokalen Berühmtheit zumindest einmal porträtieren lassen. Wenn er also auf seinem kleinen Fahrrad angefahren kommt und in die Runde „Alle mal malen, hier?“ fragt, dann sag bloß nicht nein.

5. Es gibt keine Anwesenheitspflicht mehr.
Nutze diese Tatsache, zumindest in deinem ersten Semester. Während man bis vor zwei Jahren nur zweimal pro Kurs im Semester fehlen durfte, reicht es heute schon fast, nur zweimal hinzugehen. Zugegeben, wenn du den Kurs bestehen möchtest, dann reicht das vielleicht nicht. Aber es nimmt dir auch keiner übel, wenn du am morgen nach deiner Fachschaftsparty nicht um 8 Uhr in der Vorlesung sitzt. Lerne, Prioritäten zu setzen!

6. Sag immer ja zu Bonuskarten!
Bonuskarten sind toll. Sie vermitteln dir das Gefühl, dass du als Stammkunde wirklich wichtig bist. Ob Kaffee, Bücher oder Frisörbesuch: beim elften Mal ist’s umsonst! Eine gute Marketingstrategie mit dem Ziel, den Kunden zu halten. Es funktioniert. Studierende lieben Gratis- Sachen! In meinem Portmonnaie befinden sich grundsätzlich mehr Bonuskarten als Geld, und ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie einlösen kann. Daher lautet der sechste Tipp dieser Liste: Nimm jede Bonuskarte, die du kriegen kannst!

7. Die ULB ist kein Laufsteg.
Oder doch? Wenn man im Lesesaal sitzt, um für anstehende Klausuren zu lernen oder seine Hausarbeit zu schreiben, könnte man schnell den Eindruck bekommen, dass es sich bei der ULB nicht um eine Bibliothek, sondern um das Casting für die nächste Staffel von Germany’s Next Topmodel handelt. Sehen und gesehen werden ist hier anscheinend für viele das Motto. Andauernd stolzieren balzende Männlein und Weiblein an einem vorbei, eingehüllt in eine Duftwolke, die so enorm ist, dass man sie auf der Zunge schmecken kann. Hohe Schuhe sind hier auch keine Seltenheit, was besonders bei den Personen nervt, die alle zehn Minuten für eine wohlverdiente Kaffeepause rausrennen. Dabei lässt es sich in gemütlichen Klamotten doch viel besser lernen!
Und wenn wir schon dabei sind: Wenn du keinen Laptop dabeihast, dann blockier bitte keine Plätze mit Steckdose!

8. Sei kein Schleimer.
Eigentlich sollte dieser Punkt klar sein, aber es kommt wirklich immer wieder vor. Anders als in der Schule gibt es in der Uni keine Kopfnoten. Am Ende zählt nur deine Prüfungsleistung. Den meisten Dozenten ist es egal, wer du bist, denn für sie bist du nur eine personifizierte Matrikelnummer von vielen. Also vermeide es, in der Vorlesung sinnlose Fragen zu stellen, nur um dem Dozenten zu zeigen, dass es dich gibt. Es sei denn, du möchtest, dass deine Kommilitonen von dir genervt sind.

9. Lade dir nützliche Apps herunter.
Dein bester Freund in langweiligen Pflichtvorlesungen: dein Smartphone. Traurig, aber wahr. Neben den bekannten Apps wie Instagram und Snapchat gibt es jedoch noch weitere Apps, die auf deinem Handy nicht fehlen sollten. Mit der Uni Bonn-App kannst du beispielsweise schon mal den Mensaplan checken um deine Mittagspause zu planen. Dank der Jodel-App weißt du immer, was an der Uni gerade los ist und mit Scanner-Apps kannst du schnell und einfach die Mitschriften deines Kommilitonen in ein PDF umwandeln, falls du in der letzten Vorlesung gefehlt hast (natürlich nur, wenn du vorher gefragt hast).

10. Last but not least:
Lass deinen Abipulli zuhause! Diesen Fehler haben wahrscheinlich schon viele bei der Einschreibung begangen. Abipullis sollten, auch wenn das Abimotto deiner Stufe noch so lustig war und er ja so gemütlich ist, wirklich nur zuhause getragen werden. Wirklich jeder hier hat Abitur, da es nun mal die Voraussetzung für das Studium ist. Den Abipulli zur Vorlesung zu tragen ist also ungefähr so, als würdest du deinen Studentenausweis an einer Kette um den Hals tragen.

 

Die Macht der Gene

RUBRIK BONN, DEINE LEHRENDEN Die Forschung von Prof. Dr. Martin Reuter verbindet die Psychologie mit der Molekulargenetik. Im AKUT-Gespräch macht er deutlich, dass die Psychologie schon lange nicht mehr in den psychoanalytischen Kinderschuhen steckt und mittlerweile eine gestandene Naturwissenschaft ist.

INTERVIEW LINNÉA NOETH

 

AKUT Gemeinhin wird die Psychologie nicht unbedingt mit genetischer Forschung assoziiert. Wie passen die beiden Themenfelder zusammen?

REUTER Die Psychologie beschäftigt sich hauptsächlich mit menschlichem Verhalten. Hier setzt auch die Verhaltensgenetik an, die erforscht, inwiefern ein Phänotyp – ein bestimmtes Merkmal eines Menschen – durch Umwelteinflüsse oder eben die Gene beeinflusst wird. Mit Hilfe statistischer Methoden kann man dann die Stärke dieser beiden Varianzquellen schätzen. Eine Determinante, die unser Verhalten entscheidend beeinflusst, ist unsere Persönlichkeit. Erblichkeitsschätzungen für Persönlichkeitseigenschaften, wie z.B. Extraversion oder Ängstlichkeit, liegen ungefähr bei fünfzig Prozent, was belegt, dass die Variation im Verhalten, die man in einer bestimmten Situation zeigen kann, sehr stark von der Persönlichkeit beeinflusst wird. Zum Beispiel wird eine extravertierte Person gewiss eher auf das Angebot eingehen, spontan auf eine Party zu gehen, als eine introvertierte Person.

AKUT Was haben unsere Gene damit zu tun?

REUTER Mittlerweile hat man viel Evidenz, die darauf hinweist, dass Phänotypen wie Persönlichkeit, Intelligenz, aber auch psychopathologische Erkrankungen wie Depression stark genetisch bedingt sind. Deswegen ist es meiner Meinung nach notwendig, zu wissen, welche Gene genau den statistisch errechenbaren „genetischen Anteil“ ausmachen. Wenn man weiß, weshalb Menschen sich in ihrer Anfälligkeit für Krankheiten unterscheiden, kann man auf dieser Basis auch an Medikamenten forschen, die spezifisch zu den Patienten passen.

AKUT Das klingt plausibel. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie in diesem Gebiet forschen?

REUTER Nach meiner Promotion in Würzburg ging ich als Postdoc zurück nach Gießen, wo ich zuvor studiert hatte. Der Lehrstuhlinhaber für differentielle und Persönlichkeitspsychologie hatte zu der Zeit die Vision, die Psychologie und die Molekulargenetik zusammenzuführen und hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ein molekulargenetisches Labor aufzubauen.

AKUT Dann stammt die Idee der Verknüpfung von Molekulargenetik und Psychologie also aus Gießen?

REUTER Nein, es gab schon vorher Kollegen in der Psychologie, die sich mit Molekulargenetik beschäftigt haben. Im Unterschied zu uns haben sie die Gen-Proben aber nicht selbst ausgewertet, sondern haben die Proben zur Analyse in Fremdlabors geschickt. Gerade in der Genetik finde ich es wichtig, dass man weiß, was genau man da macht. Jemand, der sich lediglich theoretisch mit der Thematik auseinandersetzt, der seine Proben zur Analyse an andere Labore schickt, hat überhaupt nicht die Möglichkeit, aktiv am Forschungsprozess mitzuwirken oder neue Ideen zu entwickeln. Man kann sich dann auch nie sicher sein, ob die Ergebnisse, die man von kommerziellen Firmen erhält, korrekt sind. Und das ist ein Risiko, das man nur ungern eingehen sollte.

AKUT Wie ging es für Sie weiter, nachdem Ihre Arbeit in Gießen beendet war?

REUTER Als ich vor zehn Jahren den Ruf nach Bonn erhalten habe, war es für mich klar, dass das ganze Engagement, welches ich in Gießen in die genetische Forschung gesteckt hatte, nicht umsonst gewesen sein sollte. Also habe ich mich um Forschungsgelder bemüht, um hier in Bonn wenigstens auf minimalem Niveau forschen zu können. Mittlerweile sind wir aber so weit, dass wir Massenspektrometrie nutzen oder Klonierungsexperimente durchführen können. Man kann sagen, dass sich der Standard, über den wir hier in Bonn verfügen, deutlich von anderen Laboren in diesem psychologischen Forschungsgebiet abhebt.

AKUT Sie beschäftigen sich mit „Persönlichkeit, Intelligenz und Kreativität“. Wie hängen diese drei Aspekte zusammen?

REUTER Persönlichkeit ist viel mehr als das, was ein Persönlichkeitstest misst. Ähnlich ist es mit Intelligenz. Wer versucht, eine ihm oder ihr bekannte Person zu beschreiben, nutzt dazu auch Worte wie „clever“ oder „schlau“ – doch diese Attribute werden in Persönlichkeitstests kaum gemessen. Wie auch der Persönlichkeitsforscher Guilford schon sagte, gehören aber kognitive Fähigkeiten wie auch Kreativität mit zum Gesamtbild der Persönlichkeit. Auch soziale Intelligenz ist ein wichtiger Forschungsgegenstand – nur ist die Forschung hierzu nicht allzu erfolgreich, weil man sie nicht so gut messen kann. Das, was man gemeinhin als Intelligenz versteht, ist auch interdisziplinär von Belang, wie z.B. für die Ökonomie und Wirtschaftspsychologie, die Arbeits- und Organisationspsychologie. Denn mittlerweile weiß man, dass Intelligenz einer der besten Prädiktoren für Berufserfolg ist.

AKUT Sie wollen Ihre Grundlagenforschung mit Anwendungsfragen verknüpfen, die auch das Arbeitsleben betreffen. Aktuell führen Sie ein Forschungsprojekt zum Thema „Burnout“ durch. Worum geht es da?

REUTER Das Problem ist, dass in den Medien zwar immer wieder über Burnout berichtet wird – dabei ist „Burnout“ bisher noch keine anerkannte Diagnose. Wer den Verdacht hat, an einem Burnout zu leiden, wird von den behandelnden Ärzten oder Therapeuten meist als „depressiv“ eingestuft. Das liegt daran, dass die Krankenkassen die Leistungen nur bei der Diagnose „Depression“, nicht aber bei „Burnout“ übernehmen.

AKUT Glauben Sie, dass sich das in Zukunft ändern könnte?

REUTER Ehrlich gesagt, nein. Es gibt einige Arbeitgeber oder Funktionäre im Gesundheitswesen, die es als nachteilig ansehen würden, wenn sich mehr Patienten mit ihrem Anliegen zum Arzt trauten. Die soziale Stigmatisierung, die die „Depression“ heute immer noch mit sich bringt, entsteht bei Patienten, die davon ausgehen, an Burnout zu leiden, nämlich nicht so schnell. Trotzdem sind viele Psychiater auch davon überzeugt, dass es sich bei Burnout „nur“ um eine Vorstufe der Depression handle, da sich die Symptome teilweise überschneiden.

AKUT Wie sehen Sie das?

REUTER Meiner Meinung nach besteht ein Unterschied zwischen Burnout und Depression. Ein Burnout-Patient wird seine Symptome nämlich immer auf seine Arbeit oder sein Studium zurückführen. Früher unterschied man in der Psychiatrie die „endogene“ von der „exogenen“ Depression; wobei unter die endogene Depression so etwas wie plötzlich auftretende Melancholie fällt. Bei einer exogenen Depression weiß der Patient genau, weshalb es ihm schlecht geht. Er kennt also die Ursache für sein Leiden.

AKUT Gibt es denn eine Methode, um herauszufinden, ob sich Depression und Burnout unterscheiden?

REUTER Genau daran forschen wir aktuell. In unserem Projekt testen wir genetische Marker rein depressiver Patienten gegen die von Burnout-Patienten und solchen, die von beidem betroffen sind. Als Kontrollgruppe nehmen wir eine Stichprobe aus der Bevölkerung. Wobei man die arbeitende Bevölkerung gar nicht so richtig als Vergleich heranziehen kann, weil viele bereits ein Burnout-Problem haben. Wenn es uns gelingen sollte, Genorte zu finden, die ausschließlich bei Patienten mit Burnout vorkommen, aber nicht bei den depressiven oder gesunden Probanden, haben wir zumindest einen Hinweis darauf, dass es sich nicht um dieselbe Erkrankung handelt.

AKUT Was sind die Anzeichen dafür, dass man einen Burnout haben könnte?

REUTER Wenn man bemerkt, dass man seine Emotionen nicht mehr so spürt wie früher, oder plötzlich kein Interesse mehr an Dingen hat, die man vorher gern getan hat. Ein wichtiges Symptom ist, dass man nicht mehr effektiv arbeiten kann und sich antriebslos fühlt. Wichtig ist, dass man so früh wie möglich Hilfe sucht – egal wie unangenehm einem der Arztbesuch vorkommen mag. Stigmatisierung zu fürchten ist in keinem Fall zielführend.

 

Rabenmutter Alma Mater

AKADEMISCHE KARRIERE Wer nach dem Studium danach strebt, im Lohn und Brot der Alma Mater zu stehen, der muss sich umschauen. Denn nicht immer garantiert eine akademische Karriere die finanzielle Sicherheit, die man sich von der nährenden Mutter wünschen würde.

VON LARS SCHÄFERS

Die Universität als gütige Mutter. Sie nährt uns mit kostbarem Wissen. Sie lindert unseren Bildungshunger, ohne uns je satt zu machen. Die Alma Mater gilt als Hort höchster Bildung und ist seit dem Mittelalter Ort und Symbol für das unermüdliche Streben des menschlichen Geistes nach Erkenntnis. Wem das Forschen schon während der Studienzeit Freude bereitet hat und wer nach dem Studium noch immer wissen will, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, steht vor der Option einer akademischen Karriere. Bleibt der Student seiner Alma Mater treu oder löst er sich von ihrer nährenden Brust, um anderswo sein Karriereglück zu suchen?

Willkommen im Wissenschaftsprekariat
An der Uni bleiben, eine Doktorarbeit schreiben und als wissenschaftliche Hilfskraft, oder besser noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter, arbeiten – ein reizvoller Weg für alle, die ihren Wissenshunger zum Beruf machen wollen. Doch wird die Alma Mater dann nicht selten zur Rabenmutter.
Die Rede ist vom sogenannten „akademischen Prekariat“: Befristete Arbeitsverträge, Teilzeitstellen und der größte Sorgenfaktor: Nach einer Frist von maximal 12 Jahren sollte die Professur oder eine andere Dauerstelle erreicht sein, oder es ist endgültig vorbei mit dem Traum einer akademischen Karriere bis zur Rente. Grundlage dieser Arbeitssituation ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (Wiss-ZeitVG), das Sonderarbeitsrecht der wissenschaftlichen Hilfskräfte, Mitarbeiter und Assistenten. Die Befristungs- und Sonderregeln dieses Gesetzes bedeuten mangelnde Planungssicherheit und unklare Perspektiven. Mit Doktortitel und Lehrbefugnis ins Prekariat: So sieht der berufliche Fahrplan für nicht wenige aus. Denn es gibt weit weniger Professur-Stellen als wissenschaftlichen Nachwuchs. Der Traum von einer akademischen Karriere ist also schnell ausgeträumt, insbesondere für denjenigen, der eigentlich gar keine Professur anstrebt, sondern im akademischen Mittelbau seinen Platz im Dienst an der Wissenschaft sieht. Das ist ein skandalöser Zustand für ein Land, das Exzellenzinitiativen startet und „Bildungsrepublik“ sein will.

Eine Novelle ohne viel Neues
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kämpft schon lange für eine grundlegende Erneuerung des WissZeitVG. Ihre Kernforderungen lauten unter anderem: Absicherung der Promotionsphase, Perspektiven für Postdocs, Mindeststandards für befristete Arbeitsverträge, die Einrichtung von Dauer- und Vollzeitstellen im Mittelbau sowie eine familienfreundlichere Ausgestaltung der Karrierewege an den Unis. Letzter Punkt ist besonders wichtig, nicht nur für den heute so gut ausgebildeten weiblichen Nachwuchs in der Wissenschaft: Mit Fristverträgen fehlt die Sicherheit für eine Familiengründung und wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert. Kein Wunder also, dass laut amtlicher Statistik über 70 Prozent der Nachwuchswissenschaftlerinnen und auch etwa 45 Prozent der Professorinnen kinderlos sind. Auch bei den männlichen Kollegen sieht es nicht viel besser aus. Auch die Politik ist sich dieser Missstände bewusst, eine Novellierung des WissZeitVG wurde immerhin im Dezember vom Deutschen Bundestag beschlossen. Seither muss für jede Befristung wenigstens ein echter Sachgrund vorliegen. Für Nachwuchswissenschaftler mit minderjährigen Kindern können sich die 12 Jahre Maximalbeschäftigungsdauer nun um zwei Jahre je Kind erhöhen. Auch soll die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses künftig genauer statistisch erfasst und untersucht werden. Doch reicht das aus? Die GEW sieht die Novelle zwar als „Etappensieg“, viele ihrer Kernforderungen wurden allerdings nicht umgesetzt.

Karriereplanung mit Idealismus und Hintertürchen
Wer eine akademische Karriere anstrebt, braucht vor allem eines: Eine ordentliche Portion Idealismus. Ebenso eine tiefe Liebe zur Forschung, eine unermüdliche Neugier nach Erkenntnis, das Streben nach Exzellenz sowie nachhaltige Freude am wissenschaftlichen Arbeiten und Publizieren. Und wer weiß, vielleicht ringt sich die Politik eines Tages auch dazu durch, eine wirklich grundlegende Reform des WissZeitVG anzugehen. „Dauerstellen für Daueraufgaben“, ein Kernslogan der GEW, scheint die dringlichste Forderung zu sein. Dabei geht es nicht um die vollständige Ersetzung befristeter Arbeitsverhältnisse – gerade bei Qualifizierungsstellen für Doktoranden und Habilitanden ist eine (adäquate) Befristung sachgemäß. Besser wäre aber, wenn sie grundsätzlich immer auch mit der Tenure-Track-Option, der Zusage einer Dauerstelle, wenn bestimmte Zielvereinbarungen erreicht wurden, verbunden ist. Zur Frage, ob befristet oder unbefristet in der Wissenschaft, sollte es demnach um ein Sowohl als-auch gehen.
Trotz allem: Jeder, der eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, sollte sich jederzeit noch das Hintertürchen einer außeruniversitären Tätigkeit mit entsprechender Kontakt- und Beziehungspflege offenhalten. Manchmal müssen eben auch die treuesten Diener der Wissenschaft, die Nesthäkchen der geliebten Alma Mater, flügge werden.

Mein liebes Bonn, …

BETRIFFT: HEIMAT Früher oder später muss jeder einmal Abschied nehmen. Von einer ehemaligen Hauptstadt in die aktuelle. Oder auch vom kleinen B ins große B. Ich sage bye bye Bonn und hallo Berlin!

VON DOMINIQUE MÜLLER

Mein liebes Bonn, it’s time to say goodbye. Nach stolzen 23 Jahren habe ich mich nun von dir verabschiedet. Ich will ehrlich zu dir sein, besonders schwer ist es mir nicht gefallen. Das bedeutet jetzt aber nicht, dass ich mich während der langen Zeit nicht wohlgefühlt habe. Ganz im Gegenteil eigentlich.
Ich hatte eine schöne Zeit! Aber irgendwann ist halt einfach mal Zeit für etwas Neues. Und ich finde, das kannst du mir eigentlich nicht verübeln.
Du hast wirklich sehr viele schöne Ecken. Ich sag nur Rhein, Universität und Hofgarten, Südstadt, Sternstraße oder Alter Zoll. Nicht zu vergessen das Siebengebirge, das zwar offiziell nicht zu dir gehört, aber ja um die Ecke liegt. Nicht umsonst reisen die Touris dafür an. Und auch wenn du leider zu oft nur als Geburtstort von Beethoven gesehen wirst, hast du doch wesentlich mehr zu bieten. Hinzu kommt, dass du ja echt schon sehr viel erlebt hast und eine spannende Vergangenheit als Bundeshauptstadt vorweisen kannst. Das ist schon echt etwas Besonderes. Es waren ja immerhin stolze 41 Jahre. Ich weiß gar nicht, ob dir überhaupt bewusst ist, welche wichtige Rolle du in der Geschichte Deutschlands und unserer Demokratie gespielt hast. In Bonn wurde schließlich das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland unterschrieben. Darauf kann man schon stolz sein. Auch wenn ich die ersten 20 Jahre meines Lebens in Königswinter und nicht in Bonn gewohnt habe – immerhin recht nah an der Grenze – warst du schon immer der Ort an den ich gefahren bin, wenn ich gesagt habe „Ich fahr‘ mal in die Stadt“. Es hat sich also fast so angefühlt, als wohnte ich in Bonn. Die letzten drei Jahre durfte ich dann in der wunderschönen Südstadt verbringen. Da ist ja ein Haus schöner als das andere. Wirklich klasse!
So schön du auch bist, bin ich doch sehr froh, dass du so nah am ebenfalls schönen Köln gelegen bist. Um ehrlich zu sein bin ich nämlich mehr der Großstadttyp.
Klar, du zählst auch als eine, aber Köln ist da mit seinen knapp über einer Million Einwohnern einfach noch mal eine etwas andere Liga. Nicht dass man in Bonn nichts unternehmen könnte, aber in Köln wird nun mal, vor allem für junge Leute, mehr geboten. Gerade was die abendlichen Aktivitäten betrifft.
Auch wenn ich jetzt eine neue Stadt mein Zuhause nenne und mich dort sehr, sehr wohl fühle, so wirst du doch immer irgendwie meine Heimat bleiben. Ich bin hier aufgewachsen, zur Schule und zur Uni gegangen und verbinde viele Erinnerungen mit dir! Nicht zuletzt, weil meine Eltern noch hier wohnen, werde ich dir ab und an einen Besuch abstatten und einen ausgiebigen Rheinspaziergang machen oder ins Museum gehen. Die Museumsmeile gehört nämlich definitiv zu meinen Lieblingsorten. Und weil „Lass uns Freunde bleiben“ einfach keiner gerne hört, sag ich einfach: Mach’s gut Bonn!
Ich bin ja nicht aus der Welt und schaue ab und an noch mal vorbei. Versprochen!

Das war‘s

Vermieter aus der Hölle gab es bereits 1966, wie dieser Auszug aus der damaligen akut nahelegt. Und auch für Eigenwerbung war sich die Redaktion damals nicht zu schade. Das Anforderungsprofil ist geblieben – und hübsche Beine haben unsere Redaktionsmitglieder auch noch.

Lotte hat nichts zu lachen

Krach ums Collegium musicum

Orchester, Chor, Big Band: Musik ist Teil des studentischen Lebens der Uni Bonn ‑ gewesen? Stück für Stück demontiert das Rektorat die Organisation der Ensembles. Doch die wehren sich nach Kräften.

„Lebe, liebe, lache, Lotte, lebe, liebe, lache, Lotte, lebe liebe, lache, Lotte“ – der Chor des Collegium musicum könnte das den ganzen Abend machen. Einsingen macht Spaß, die Stimmung ist gelöst. In diesem Moment merkt man den Mitgliedern gar nicht an, dass sie Exilanten sind, dass sie kämpfen müssen um ihren Chor. Auch von den wöchentlichen Aktiventreffen, den Pressemeldungen, dem Flashmob und dem Benefizkonzert ist hier nichts zu spüren.

Bis vor kurzem hatte die Uni Bonn ein Collegium musicum, bestehend aus mehreren Ensembles, unter anderem einem Orchester und einem Chor. Beide teilten sich einen Dirigenten, den Akademischen Musikdirektor.

Die gescheiterte Neubesetzung dieses Postens führte zu einem Zerwürfnis zwischen dem Rektorat der Universität und den Musikern, das wohl alle, die in den letzten Wochen in der Mensa waren, mitgekriegt haben.

„Da ist viel unglücklich verlaufen“, fasst es Chorsänger Elias Oltmanns prägnant zusammen. „Der Kandidat hat uns nicht recht überzeugt, außerdem ist uns aufgestoßen, dass wir keine Auswahl hatten.“ Bei der Besetzung wollte sich Uni-Rektor Jürgen Fohrmann zunächst auf eine Empfehlung verlassen und hielt ein Auswahlverfahren nebst Probedirigat nicht für nötig. Die Musiker sahen das anders und setzten wenigstens ein kleines Bewerbungsverfahren durch. Weit gedieh die Auswahlrunde nicht: Nachdem man sich nicht auf die Besetzung der Besetzungskommission einigen konnte, gab das Rektorat die Kandidatensuche im Konsens auf und machte sich wieder im Alleingang auf die Dirigentensuche. „Es ist einfach nicht wahr, dass die Findungskommission an den studentischen Vertretern gescheitert sei“, ärgert sich Elias: „Es gibt ja auch gute Gründe für ein solches Verfahren. Ist ja auch keine Erfindung des Collegium musicum, sondern Gang und Gäbe im musikalischen Betrieb.“

Aber auch die Uni-Leitung fühlte sich unfair behandelt. Der Rektor bescheinigte den Musikern in einem Zeitungsinterview „destruktive Energien“, stellte den Dialog ein und verkündete, den Fortbestand des Collegium als Ganzes zu prüfen. Um dem Missfallen des Rektors Nachdruck zu verleihen, oder auch, wie es hieß, aus haftungsrechtlichen Gründen, durften Chor und Orchester die Probenräume des Collegiums nicht mehr nutzen.

Für die Musiker kein hinnehmbarer Zustand: Und so stürzten sie sich in die Rettung des Collegium musicum. Einerseits ging es darum, die Probenarbeit für das kommende Semester sicherzustellen, ein Interimsdirigent musste engagiert, geeignete Räume im Exil gefunden werden.

Um die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen, gründeten sie die Initiative „Generalpause – nein danke!“, nebst Homepage und Facebook-Auftritt. „Mit unseren Aktionen mussten wir den Spagat schaffen: Einerseits sollten die Leute merken, hier brennt die Hütte, das ist wirklich ernst. Andererseits durften wir uns den Weg zu einem klärenden Gespräch nicht verbauen.“ Die Lösung: ganz viel Musik.

Zunächst organisierten die studentischen Aktivisten einen musikalischen Flashmob auf der Bonner Hofgartenwiese in Hörweite des Rektorates. Dann, eine Nummer größer, wurde ein Benefizkonzert in Angriff genommen. Gespielt werden sollte, wie passend, ein Requiem.

Ein erheblicher Aufwand für die beteiligten Studierenden, die eigentlich nur fürs wöchentliche Musizieren zu den Ensembles gestoßen sind. „Es ist ja nicht so, dass jemand hier darauf gewartet hat, endlich externe Proben zu organisieren oder sich nur noch fürs Collegium musicum engagieren zu können“, so Elias, „Wir haben alle auch noch anderes zu tun.“
Schon bald werden die Musiker wieder mehr Zeit haben. Wenn das Semester vorbei ist, wird auch ihre Zeit im Exil enden. Die Proberäume und die Aula werden wieder zur Verfügung stehen, die Konzerte müssen nicht mehr in Eigenregie organisiert werden.

Als Sieger fühlen sich die Studierenden aber nicht. „Ihr“ Collegium musicum als Marke wurde vom Rektorat abgeschafft, die Musiksparte geht als Säule in einem neugegründeten „Kulturforum“ auf. Mit Jörg Ritter wurde ein neuer Dirigent berufen, von dem sie bisher kaum mehr als den Namen wissen.

Elias: „Bei der Vorgeschichte startet er natürlich mit einer Hypothek. Dafür kann er nichts, und ich werde auch bei den anderen dafür werben, ihm eine Chance zu geben.“
Es nützt ja alles nichts. Der Chor wird das Semester noch mit seinem Interims-Dirigenten Ansgar Eimann zu Ende bringen. Auch das standesgemäße Semesterabschlusskonzert wird stattfinden. Dafür müssen sie weiter üben. Wenigstens da hat Lotte noch zu lachen, lieben und leben.

Konzert

Am Mittwoch, 9. Juli, 19:30 Uhr in Sankt Elisabeth, Schumannstraße, und am Donnerstag, 10. Juli, 19:30 Uhr in Sankt Marien, Adolfstraße, findet das Semesterabschlusskonzert des Chores statt. Gesungen werden geistliche A cappella-Werke des 19. und 20. Jahrhunderts, der Eintritt ist frei.

 

Fohrmann als Obama

Ein Kommentar von Hanno Magnus

Gegen Ende seiner Amtszeit schaut ein Politiker nicht mehr auf einzelne Stimmungen, sondern nur noch auf seinen Platz in den Geschichtsbüchern. Es ist gut vorstellbar, dass sich Rektor Fohrmann mit der Neugliederung der Kulturlandschaft der Uni Bonn ein Denkmal setzen wollte.

Mit seinem Kommunikationsverhalten hat er sich dann gleich mit einer wichtigen Säule des neuen Konzepts verkracht: den Musikerinnen und Musikern. Besonders clever war das nicht, haben Chor und Orchester doch nicht nur eine illustre Schar von Ehemaligen, sondern auch viele Fans – die meisten in einem Alter, in dem man viel Zeit für Leserbriefe an den Generalanzeiger hat.

Nicht viel los mit Denkmal, erstmal. Allerdings spielt dem Rektorat die hohe Fluktuation in den Ensembles in die Hände. In zwei Jahren wird ein Großteil der Belegschaft die Initiative „Generalpause – nein Danke“ nur noch aus Erzählungen kennen.

Der Ton macht die Musik

Interview mit Chorvorstand Magdalena

Magdalena Möhlenkamp ist Mitglied im Vorstand des Chores des Collegium musicum. Sie studiert Jura an der Uni Bonn und saß auch schon für die Juso-Hochschulgruppe im Studierendenparlament.

Der Streit mit dem Rektorat entzündete sich an der Neubesetzung des Akademischen Musikdirektors. Warum wurde die Stelle überhaupt frei?

Der Akademische Musikdirektor konnte seine Ausgaben bisher immer selbst verantworten und war frei in seiner künstlerischen Betätigung. Mit der Abschaffung des Forums für kulturelle Zusammenarbeit im letzten Jahr wurden ihm diese Hoheiten per Rektoratsbeschluss entzogen. Herr Kellinghaus musste sich von heute auf morgen alles genehmigen lassen: Egal ob der Einkauf von Stiften, die Miete eines Veranstaltungsorts oder das Konzertprogramm. Alles musste mit einer neu implementierten Kulturintendanz abgestimmt werden. Damit kann ein Musiker mit eigenen Vorstellungen natürlich nur schwer leben, da hat Herr Kellinghaus dann gekündigt.

Wieso bestanden Chor und Orchester auf ein Probedirigat?

Im musikalischen Bereich ist ein Probedirigat allgemein üblich. Ensemble und Dirigent erhalten die Gelegenheit, sich gegenseitig zu beschnuppern, gewissermaßen wird die Harmonie gegenseitig ausgetestet. Dabei ist die musikalische Arbeit entscheidend, nicht die schriftliche Bewerbungsmappe. Deshalb ist für uns auch eine Berufungskommission unverzichtbar, besetzt mit Experten aus verschiedenen Fachbereichen. Musikwissenschaftler, Musikpraktiker, Mitglieder der Universitätsverwaltung und eben auch Studierende sollen ihr Votum abgeben. Die Beteiligung von Studierenden sollte dabei für eine demokratische Hochschule selbstverständlich sein. Genauso ist es bei der Besetzung von André Kellinghaus ja auch geschehen.

Wie war das mit dem Rausschmiss aus den Proberäumen?

Zunächst wurde André Kellinghaus von der Uni-Leitung aufgefordert, alle Schlüssel zurückzugeben. Dann kamen die Hausmeister und tauschten die Schlösser zu den Probenräumlichkeiten im Collegium musicum aus. Offiziell hieß es, es habe Unregelmäßigkeiten bei der Schlüsselvergabe gegeben habe. Darüber staunen selbst die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Collegium musicum. Eine unfassbare Überreaktion, die ihresgleichen sucht. Studentische Musiker wurden buchstäblich ausgesperrt. Wir wandten uns dann an die Universitätsverwaltung, um als studentische Kulturgruppe einen Antrag auf Nutzung der Aula zu stellen. Daraufhin wurde uns mitgeteilt, Chor und Orchester dürften in diesem Semester nicht in die Aula. Jetzt wurde es endgültig absurd. Dabei hatte sich sogar ein Professor angeboten, die Schlüsselgewalt für uns zu übernehmen.

Der Chor hat sich einen Interimsdirigenten gewinnen können. Wie läuft/lief die Zusammenarbeit ab? Was passiert jetzt, wo der neue Dirigent da ist?

Ja, wir hatten großes Glück, in dieser Notsituation vom AStA und der Gesellschaft zur Förderung des studentischen Musizierens finanziell unterstützt zu werden. Wir wollten auf jeden Fall weiter Musik machen und das Auseinanderbrechen der Ensembles verhindern! Im Chor fiel die Wahl auf Ansgar Eimann, der in Köln Schulmusik und Chorleitung studiert hat und ein großartiger Dirigent ist. Und vor allem auch ein unfassbar guter Sänger. Sich seinen Dirigenten selbst aussuchen zu können, motiviert natürlich ungemein. Darum gibt’s bei den Semesterabschlusskonzerten auch ein anspruchsvolles A capella-Programm. Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, unser Konzert auch mit unserem Dirigenten zu singen.

Macht die Initiative „Generalpause – nein danke!“ jetzt Schluss?

Wir haben in den letzten Wochen 5666 Unterschriften für den Erhalt des Collegium musicum gesammelt. Studierende, Ehemalige und Kulturinteressierte von überall her unterstützen uns. Dies gilt jetzt umso mehr, wo das Rektorat entschieden hat, das Collegium musicum abzuschaffen. Wie genau die neuen Strukturen aussehen sollen, ist bisher nicht bekannt. Von studentischer Mitbestimmung und Garantien für künstlerische Freiheiten und einer ausreichender Finanzausstattung ganz zu schweigen. Dieses Semester hat uns Musikern gezeigt: Wir fühlen uns der Universität zugehörig und wollen dorthin zurück. Aber nicht um jeden Preis. So schnell lassen wir uns nicht entmutigen, schließlich geht es hier um unsere Kulturlandschaft.

Aus mit der Sprache

Die Uni Bonn lässt Studierende verstummen

Durch den Sparzwang an der Philosophischen Fakultät spitzt sich die Sprachkurs-Situation am Institut für Orient- und Asienwissenschaften immer mehr zu. Mittlerweile müssen selbst Islamwissenschaftler um ihren Platz im Arabisch-Kurs bangen.

Patricia Janitzki und Christina Baetzel sind empört. So hatten die beiden sich ihr Studium der Islamwissenschaften nicht vorgestellt. „Wenn ich hier bleibe, verringern sich meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, so Christina. „Entweder das Problem lässt sich institutsintern regeln oder ich muss wechseln.“ Christina, die bereits Magistra der Skandinavistik ist, studiert mittlerweile im vierten Semester den Zwei-Fach-Bachelor „Islamwissenschaft (Nahostsprachen)“ am Institut für Orient- und Asienwissenschaften (IOA) der Uni Bonn. Patricia studiert im selben Semester das Kernfach Asienwissenschaften, in dem man ebenfalls einen islamwissenschaftlichen Schwerpunkt wählen kann. Diese Studiengänge bestehen neben historischen und kulturellen Modulen zur Region Westasien hauptsächlich aus dem Studium der islamwissenschaftlichen Sprachen Arabisch, Persisch und/oder Türkisch. Als Lingua Franca der islamischen Welt, und eine der weltweit am meisten gesprochenen Sprachen, wird Arabisch von den meisten Islamwissenschaftlern gewählt, gilt es doch als Grundlage für diesen Studiengang. Doch genau hier liegt das Problem, nicht nur für Patricia und Christina, sondern vermutlich auch für etliche andere Asienwissenschaftler mit diesem Schwerpunkt:
Wegen finanzieller Einsparungen an der Philosophischen Fakultät wurden Sprachkurs-Kontingente am IOA zum Wintersemester 2013/14 radikal gekürzt. Konkret heißt das, dass Arabisch – genau wie alle Sprachen, die am IOA im Rahmen des Bachelors im  Kernfach studiert werden können – nicht mehr wie vorher zwei- oder sogar dreizügig, sondern nur noch mit einem Kurs geführt werden darf. Im IOA war bereits vorher klar, dass dies den Bedarf bei Weitem nicht decken werden würde. Prof. Dr. Dagmar Glaß, die am Institut seit neun Jahren für den Arabisch-Unterricht verantwortlich ist, erklärt: „Die Abteilung Islamwissenschaft und Nahostsprachen hatte das Dekanat vor Ende des Studienjahres 2012/13 in einem Brief auf die im WS 2013/14 zu erwartenden Probleme für die Studierenden und von uns betreuten Studienschwerpunkte aufmerksam gemacht, denn Arabisch hat für zwei Bachelor-Studienschwerpunkte und zwei Master-Schwerpunkte eine Schlüsselrolle – leider erfolglos!“

Problematisch wird es in Folge dessen vor allem für all diejenigen, die sich im Kernfach zunächst für eine andere Nahostsprache entschieden, so wie Patricia. Sie hat ihr Studium mit Türkisch begonnen und freiwillig schon seit dem ersten Semester auch noch Persisch belegt – selbstverständlich in der Erwartung, Arabisch ab dem dritten Semester hinzuwählen zu können, denn sie weiß: „Arabischkenntnisse sind bis auf wenige Unis in Deutschland eine Voraussetzung, um einen Master in Islamwissenschaften zu belegen.“ Sie hat sich bei der Planung ihres Studiums an die Empfehlung gehalten, die sich bis heute als Musterstudienverlauf auf der Homepage des IOA findet und in der für Asienwissenschaftler mit ihrem Schwerpunkt zwei Optionen vorgeschlagen werden: Erstens, eine der islamwissenschaftlichen Sprachen Arabisch oder Persisch sechs Semester lang zu studieren oder aber zweitens, (und dafür hatte Patricia sich entschieden) mit einer der beiden Sprachen zu beginnen und die zweite ab dem dritten Semester dazuzunehmen.
Doch Pustekuchen! Wegen der Streichungen kann das IOA längst nicht mehr allen Interessierten erlauben, an den Arabischkursen teilzunehmen. „Aufgrund des Sparzwanges wird einleuchten, dass ab WS 2013/14 die Priorität auf denjenigen Anfängern liegen muss, die den „IOA-hauseigenen“ Bachelor-Studiengang, also den Bachelor „Asienwissenschaften“, studieren und hier ihr Studium mit Arabisch beginnen. Denn nur diese Gruppe hat die Möglichkeit, im Laufe des Bachelors das für den Master „Asienwissenschaften“ mit dem Schwerpunkt Islamwissenschaft nötige Sprachniveau zu erlangen“ so Professor Glaß. Für Patricia gilt zwar die erste Bedingung, aber eben nicht die zweite, und das bedeutet, dass sie, obwohl sie sich an die Regeln des IOA gehalten hat, theoretisch nicht die Voraussetzungen für einen Master mit ihrem Schwerpunkt mitbringen wird – weder an der Uni Bonn noch an den meisten anderen Unis. Und das, obwohl zu einer sinnvollen, kompatiblen und für den Arbeitsmarkt tauglichen Sprachkombination geraten wird: „Aus fachlicher Sicht ist es sinnvoll, Arabisch als die grundlegende Islamsprache mit einer anderen Islamsprache, vor allem Persisch oder Türkisch, zu kombinieren“, so Frau Prof. Dr. Glaß selbst.

Doch damit nicht genug: Denn aus den Arabischkursen werden nun nicht nur diejenigen ausgeschlossen, die sich nicht für Arabisch als erste ihrer Sprachen entschieden haben, sondern auch „die Wiederholer“, also alle, die Arabisch noch einmal von vorn beginnen wollen, weil sie die Klausuren bei den ersten Anläufen nicht bestanden haben. Vor allem aber betrifft es auch die, die den Zwei-Fach-Bachelor Islamwissenschaft studieren, dessen Titel „Nahostsprachen“ zumindest vermuten lässt, dass dabei mehrere derer erlernt werden können. In der Realität ist im Studienverlaufsplan jedoch nur eine Sprache vorgesehen, die drei Semester gelernt werden soll. Christina, die ebenfalls mit Türkisch angefangen hat, wollte Arabisch trotzdem freiwillig belegen und empört sich: „Es ist peinlich, sich Islamwissenschaftler zu nennen, ohne jegliche Arabischkenntnisse!“ Die jetzige Planung sei einfach „zu kurz gedacht“, in Anbetracht der Tatsache, dass diese Kenntnisse für Quellenkunde essentiell und für Master und Dissertation fast überall Voraussetzung sind. Sie findet, dass man nicht dafür bestraft werden solle, wenn man mehr machen möchte. Ärgerlich sei zudem, dass viele Studierende Arabisch schon nach wenigen Wochen wieder abbrechen, weil es ihnen zu schwer ist, es dann aber zu spät für andere Studierende sei, nachzurücken.

Professor Glaß bedauert diesen Zustand, weist die Schuld aber vom Institut: „Wir als Lehrende bekommen vor Beginn des Wintersemesters keine Informationen über die Anfängerzahlen in unseren Sprachen. Immer erst am ersten Unterrichtstag im Wintersemester sehen wir dann die reale Nachfrage. So ist im WS 2013/14 dann auch das eingetreten, worauf wir im Vorfeld nachweislich aufmerksam gemacht haben: Eine zu hohe Nachfrage nach einer reduzierten Plätzezahl.“ Dabei sei die Abteilung Islamwissenschaft/Nahostsprachen den Arabisch-Interessierten sogar noch entgegengekommen und habe neben den Kernfächlern auch die Erstsemester im Zwei-Fach-Bachelor Islamwissenschaften voll berücksichtigt. Damit sei das Limit der Einzügigkeit, also, dass nur ein Kurs unterrichtet werden soll, bereits um 50 % überschritten worden. Sie bedauert, dass diese Mischorganisation in Zukunft nicht weiter möglich sein wird und weitere Abstriche erforderlich sein werden: „Wie es momentan aussieht, wird die Situation im kommenden Wintersemester 2014/15 noch dramatischer, wenn die Nachfrage nach Arabisch so bleibt oder weiter steigt.“ Im Zuge der Einsparungen stünden jetzt nämlich auch noch sogenannte Stellenfreisperrungen aus, von denen auch eines der beiden Arabischelektorate, also die Stelle eines Arabischdozenten, zumindest für ein Semester betroffen sein wird. Momentan befindet sich das Institut im Gespräch mit dem Dekanat, um eine Lösung für das Problem zu finden, denn von den Sprachen des IOA sei laut Glaß nicht nur Arabisch damit konfrontiert. Schon die Zwei-Jahres-Befristung der Lektorate und der generelle Mangel an qualifizierten Lehrkräften hatten es schwierig gemacht, die Standards, für die die Uni Bonn auf dem Gebiet der orientalischen und asiatischen Sprachen bekannt ist, zu halten, bemängelt Glaß. Doch die sich jetzt abzeichnenden zusätzlichen Schwierigkeiten bergen nach ihrer Ansicht tatsächlich Risiken in mehrerlei Hinsicht und könnten ihrer Einschätzung nach der Bonner Islamwissenschaft und Arabistik in der Zukunft tatsächlich zu schaffen machen.

Für Patricia und Christina ist klar: So bietet das Studium an der Uni Bonn für sie keine Perspektive. Nach mehreren Beratungen an Fachlehrstühlen anderer Unis haben sie entschieden, ihren Bachelor hier zu Ende zu bringen und dann die Uni zu wechseln. Damit das möglich ist, versuchen sie, sich Arabisch nun selbstständig mit Hilfe eines Lehrbuchs beizubringen und wollen durch kostenpflichtige Sprachkurse aufrüsten, um das nötige Arabisch-Niveau für einen Master zu erlangen. Davon, dass ihre Motivation hier absolut nicht auf fruchtbaren Boden fällt, sind sie enttäuscht:
„Im Nachhinein würde ich mich heute leider nicht mehr für die Uni Bonn entscheiden“, stellt Patricia resigniert fest.

Lehrerpult und Pausenhof

Neues aus der Fachschaft Lehramt

Nachdem die Fachschaftsinitiative-Lehramt etwa ein Jahr lang in Vorbereitung und Planung gesteckt hat, konnte mit der Wahl im Januar 2014 endlich eine offizielle Fachschaftsarbeit legitimiert werden. Bisher sind auch alle Mitglieder voller Motivation. Wie das langfristig weitergehen wird, bereitet allerdings schon Sorge.

Jonas Kahn, Vorsitzender der Fachschaftsvertretung, freut sich sehr über die Möglichkeit, nun als offizielle Fachschaft auftreten zu können. Er ist zufrieden: „Die Fachschaftsarbeit läuft prima und auf Hochtouren!“ Neben mehreren Gesprächen mit dem Bonner Zentrum für Lehrerbildung (BZL), hat die Fachschaft in den letzten Wochen ihre erste Paukerparty organisiert und bietet regelmäßige Sprechstunden in der Alten Sternwarte in Poppelsdorf an.

Mit dem Mentorat, dem vom BZL eingerichteten – und bezahlten – Hilfsangebot für Lehrämtler, ist ebenfalls eine engere Zusammenarbeit geplant. Jonas wünscht sich eine gute Möglichkeit zur Ergänzung der Kompetenzen. „Wir als Fachschaft werden immer einen eher erfahrungsbezogenen Hintergrund haben und die praktischen Programmpunkte setzen.“ Als Beispiele dafür nennt er Ersti-Fahrten und Ausflüge, Führungen, ein BASIS-Bootcamp. „Die Mentoren sind dafür in manchen studiumsrelevanten Fragen besser geschult – aber letztlich eben bezahlte Kräfte des BZL.“

In der Pfingstwoche sind Vertreter der Fachschaft im Rahmen einer überregionalen Veranstaltung zum Lehramts-Master und dem Praxissemester in Dialog mit anderen Fachschaften von Universitäten aus Nordrhein-Westfalen getreten. Da in Bonn zum kommenden Wintersemester erstmals wieder ein Master im Lehramt möglich wird, ist die Fachschaft bestrebt, sich besonders für gutes Gelingen und „das Wohl der Studierenden“ einzusetzen, so FS-Vorsitzender Jonas.

Auf ihrer Homepage, die durch Rubriken wie „Kollegium“, „Lehrerpult“, oder „Spickzettel“ bereits erahnen lässt, wer sich dahinter verbirgt, bieten sie neben aktuellen Informationen unter der „Ersti-Hilfe“ eine beantwortete Liste häufiger Fragen von Studienanfängern an.

Johanna Schumacher, stellvertretende Vorsitzende der Fachschaftsvertretung, zieht positive Bilanz: „Es läuft alles ziemlich gut, dafür, dass es die Fachschaft erst seit so kurzer Zeit gibt.“

Bei all dem Aufwind bereitet dem Fachschafts-Kollegium eines aber Sorge: da viele der Fachschaftler bereits in naher Zukunft in den Master starten oder ins Ausland gehen, ist die Frage nach Kontinuität und Engagement der jüngeren Generationen äußerst präsent. Ungern würden sie erst zu den nächsten Wahlen Neuinteressierte ins kalte Wasser schmeißen. Jonas plädiert daher an engagierte Kommilitonen: „Wir würden uns wünschen, dass schon jetzt deutlich mehr Interessierte zu den Sprechstunden und – noch wichtiger – zu den Sitzungen kommen.“

Infokasten

Wer sich für eine Mitarbeit in der Fachschaft Lehramt interessiert, kontaktiert diese unter fslehramt@uni-bonn.de oder besucht die öffentliche Sitzung des Fachschaftsrates: jeden Mittwoch, 18 Uhr, im Erdgeschoss der Poppelsdorfer Allee 15.

„It‘s an honor to be a Bonner“

Interview mit Kissinger-Professor Dr. James Bindenagel

Heiß umstritten, nun bald da: Zum Wintersemester 14/15 erfolgt erstmals eine Besetzung der Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur für Governance und Internationale Sicherheit – durch Prof. Dr. Bindenagel. Welche Motivation ihn an die Uni treibt und wie er zu den Vorwürfen Kissinger gegenüber steht, hat er im Interview beschrieben. Die Übersetzung erfolgte durch Stefanie Oymann, Assistenz Ambassador Bindenagel.

Was gilt für Sie als Motivation, an einer Universität zu lehren?

Eine Universität ist ein einzigartiger Ort, der intellektuelle Debatten, rigorose Analyse, Kritik und einen freien Meinungsausstausch fordert und fördert und sie in einem geschützten Raum stattfinden lässt. Ich komme in der Erwartung nach Bonn, mich mit den Studierenden, der Fakultät und der Universität auszutauschen. Und ich freue mich darauf! In meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als Diplomat habe ich mehr als 30 Jahre damit verbracht, mich mit Deutschland auseinanderzusetzen. Mit diesem Erfahrungswert kann ich einen wertvollen Beitrag leisten, was den Umgang mit Diplomatie und Verhandlungen angeht. Ich kann Studierenden helfen, sich in dieses sehr komplexe und schwierige Arbeitsumfeld und die damit verbundenen Herausforderungen im Bereich der internationalen Sicherheit einzufinden, denen sie sich ja stellen müssen, wenn sie den Abschluss ihres Studiums erreicht haben und in diesem Feld arbeiten wollen. Dabei geht es meines Erachtens einerseits um die Rolle der Diplomatie in Fragen der Konfliktprävention und -bewältigung, andererseits aber auch um die Analyse konkreter Situationen und die damit einhergehende Frage, welche Fähigkeiten erforderlich sind, um eine Situation beurteilen zu können und sich eindringlich für die Verteidigung demokratischer Prinzipien einzusetzen. Das immer vor dem Hintergrund der Tatsache, dass solche Entscheidungen selten in entspannter Atmosphäre, sondern eigentlich immer unter großer Anspannung und undurchsichtiger Problemlagen zwischenmenschlicher Konflikte gefunden werden müssen. Diese Auseinandersetzung wird für die Studierenden aber sicherlich sehr hilfreich für ihren weiteren Lebens- und Arbeitsweg sein.

Was gilt für Sie als Motivation zur Annahme der Kissinger Professur?

Meine erste Anstellung in Deutschland war die eines US-Army-Offiziers. Ich war in der Nähe des sogenannten „Fulda-Gap“ bei Coburg eingesetzt, um unsere westdeutschen Verbündeten bei der Verteidigung gegen einen drohenden, durch die Sowjetunion vorgetragenen, Angriff zu unterstützen. Nachdem ich diesen Einsatz in der Army vollbracht hatte, entschied ich mich für einen beruflichen Werdegang im Bereich der Diplomatie, um einen Beitrag zu leisten, solche Konflikte zu lösen, beziehungsweise sie bestenfalls zu verhindern. Während meiner beruflichen Laufbahn war ich als Repräsentant der Vereinigten Staaten in Bonn und Ost-Berlin auf beiden Seiten des geteilten Deutschland und geteilten Europa tätig. Nach dem Fall der Mauer kehrte ich durch mein Amt als amerikanischer Botschafter nach Bonn zurück. Während dieser geschichtsträchtigen Zeit, als Deutschland noch geteilt war und Ost-Europa von einem kommunistischen Regime kontrolliert wurde, habe ich mich intensiv mit der Konfrontation zwischen Westdeutschland und der Sowjetunion auseinandergesetzt. Ich habe den USA in meiner Funktion als Diplomat über die Ereignisse rund um die demokratische Revolution in der DDR und den damit einhergehenden den Fall der Berliner Mauer 1989 berichtet, habe mit Deutschland und Europa an der Etablierung des Euro und der NATO Mitgliedschaft für Deutschlands Nachbarländer gearbeitet, die heute einen Schutzraum für die Baltischen Länder und Polen gewährleisten und mich für eine nachträgliche Entschädigung der Holocaust-Opfer und Zwangsarbeiter eingesetzt. In diesem Zusammenhang habe ich mit Frankreich, Deutschland und Österreich drei Abkommen verhandelt. Zusätzlich habe ich mich erfolgreich für ein globales Verbot für den Handel mit sogenannten Blutdiamanten eingesetzt, die dazu dienten, die Rebellen in den Bürgerkriegsregionen in Liberia, Sierra Leone und Angola zu finanzieren. Eine Konfliktlösung, die zur damaligen Zeit niemand für möglich gehalten hätte. Diese Punkte des deutsch-amerikanischen Verhältnisses überschneiden sich mit der Rolle von Dr. Henry Kissinger als Außenminister und seinen Beiträgen im Bereich der Diplomatie und der Debatte um Strategische Sicherheit.

Wie ist Ihre Haltung gegenüber den Vorwürfen bezüglich der Namensgebung/-widmung zu Ehren Kissingers?

Eine Universität ist ein Ort um zu lernen, es ist kein Gerichtssaal voll mit Staatsanwälten und Anklägern – und es gibt auch keine Verteidiger. Bei der Untersuchung des Vermächtnisses und den historischen Errungenschaften von Dr. Kissinger, die sich über eine sehr lange, sehr ereignisreiche und vor allem sehr schwierige Phase geschichtlicher und politischer Ereignisse zieht, sollten die Studierenden genauestens die historischen Hintergründe, Problemlagen und Rückschlüsse, die zur damaligen Zeit möglich waren, in Betracht ziehen – ebenso wie die Prozesse der Entscheidungsfindung, so wie es auch in allen ernsthaften Nachforschungen immer der Fall ist. Nur so kann man sich ein nachträgliches, fundiertes Urteil erlauben, anstatt ein Vorurteil zu fällen, dass sich auf eine oder zwei Episoden bezieht, die nicht vollumfänglich untersucht wurden. Natürlich ist es dabei wichtig, ein Verständnis für moralischen und ethischen Überlegungen zu entwickeln, aber die Realität, mit der man sich bei der politischen Entscheidungsfindung konfrontiert sieht, ist unglaublich undurchsichtig und verwirrend. Die entscheidende Frage ist: Was ist die klügste Vorgehensweise, wenn man alle Überlegungen und möglichen Szenarien in Betracht zieht und dabei vorhersehbare Konsequenzen erwägt, die ein Handeln oder auch Nicht-Handeln nach sich ziehen. Für Studierende – und für Praktiker – ist es wichtig, die Komplexität der politischen Entscheidungsfindung zu verstehen und daraus Theorien sowie praktische Handlungsweisen zu entwickeln, um Konflikten vorzubeugen oder sie zu lösen, ohne dabei die eigenen Prinzipien zu verraten.

Hinzu kommt, dass die Namenswidmung durch Deutschland und die Bonner Universität auch dem persönlichen Leben von Henry Kissinger Rechnung trägt. Als geborener Deutscher flüchtete er vor dem nationalsozialistischen Regime und dessen Ziel der Auslöschung der Juden aus Europa. Er hat seine Laufbahn der Weiterentwicklung der liberalen Demokratie verschrieben. Unvollkommene oder auch fehlerhafte Entscheidungen in schwer beherrschbaren Situationen, die sich durch zwangsläufig eingeschränkte Zeithorizonte und politische Handlungsspielräume kennzeichnen, sind kein ausreichender Grund, um einen Mann zu verurteilen, der sich zeitlebens für den Frieden, die Verhinderung des Ausbruchs eines Nuklearkriegs und die Verteidigung unterdrückter Menschen eingesetzt hat. Diese positiven Errungenschaften in Verbindung mit der Beendigung des Vietnamkriegs, seinem Beitrag zum Friedensprozess im Mittleren Osten und der Öffnung eines friedlichen Aufstiegs Chinas, sind der Grund – trotz möglicherweise berechtigter Kritik an manchen seiner Entscheidungen – warum Henry Kissinger der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Einige der heutigen Spannungen zwischen Vietnam und China oder auch die verfahrenen Probleme im Mittleren Osten zeigen doch, wie komplex und schwierig der Umgang mit menschlichen Erfahrungen in oft sehr irrationalen Konflikten ist – trotz der gutgläubigen Bemühungen wohlwollender Verhandlungspartner (so wie John Kerry im Camp David).

Der Universität wird vorgeworfen, auch zur Errichtung einer Putinprofessur bereit zu sein, sollte eine solche gestiftet werden. Wie stehen Sie dazu?

Es gibt weder eine moralische noch eine andere Vergleichbarkeit zwischen dem feindseligen Verhältnis zwischen der EU und Russland und den transatlantischen Beziehungen mit geteilten Wertvorstellungen, denen ich mich verschrieben habe und zu dem damit verbundenen Erhalt von Frieden und Prosperität in Westeuropa und dem heutigen vereinten Europa ich beigetragen habe. Ich würde die Frage stellen, weshalb eine ähnliche Position Präsident Putin honorieren sollte, der die liberale demokratische Grundordnung herausgefordert hat, die seit 1945 den Grundstein für Frieden in Europa bildet und dabei friedliche Abkommen der Sicherheitskonferenzen in Helsinki untergräbt. Mit der Verschiebung von Grenzen durch die Anwendung von Gewalt, ohne Respekt für international geltendes Recht und Abkommen, denen auch Russland zugestimmt hat, mit der Zersplitterung und gebietsweisen Annektierung von Teilen der Ukraine, durch die Errichtung eines Prinzips des ethnischen Nationalismus, mit dem Russland der Ukraine droht und der Destabilisierung der Baltischen Staaten und Zentralasiens, bringt er das gesamte Europa in eine äußerst riskante und schwierige Situation. Die Europäer können sich noch gut daran erinnern, zu welchen Kosten und mit welchem Aufwand Frieden, wirtschaftlicher Wohlstand und geltendes Recht errungen wurden. Visionäre der europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft und des Europavertrags, der die Vereinigten Staaten und den Marshallplan unterstützt, haben damals eine Garantie für Frieden erreicht, die mit jahrzehntelangen Bedingungen verknüpft waren. Unterstützt das Verhalten Putins diese hart erarbeiteten Prinzipien der Europäischen Union, die sich für friedvolle Konfliktlösungen und die Weiterentwicklung der ökonomischen Wohlstands einsetzen? Russland und Europa sollten nach einem friedlichen, konstruktiven Verhältnis streben. Die unter Ihnen, die nach der Wiedervereinigung von Europa 1990 geboren wurden, wurden in eine Zeit des demokratischen Friedens hineingeboren. Aber dieser Frieden kam erst zustande, nachdem den Kriegen Europas vor hundert Jahren eine gesamte Generation junger Menschen zum Opfer fiel. Vor 70 Jahren haben die Amerikaner gekämpft und gelitten – darunter mein Vater – viele sind gestorben, damit Sie und auch ich heute in Frieden leben können. Ich kam nach Deutschland als amerikanischer Offizier, um Westdeutschland gegen die sowjetische Bedrohung zu verteidigen, die Osteuropa besetzt hatte und 17 Millionen Menschen mit einer Diktatur unterdrückte, die eingeschlossen waren hinter einer Mauer und erschossen wurden, wenn sie flüchten wollten. Vor 25 Jahren hat die chinesische Regierung demonstrierende Studierende niedergeschossen. Ich war in Ost-Berlin eingesetzt, als einige Monate später mutige Deutsche in der DDR dabei geholfen haben, die Berliner Mauer zu stürzen – aber ohne die Anwendung von Gewalt! Danach haben sich die Vereinigten Staaten in Zusammenarbeit mit Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion  dafür eingesetzt, Deutschland in Frieden zu vereinigen. Die Verfassung der Vereinigten Staaten beginnt mit den Worten: „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Seit 70 Jahren arbeiten die Vereinigten Staaten mit ihren europäischen Verbündeten daran, diese Errungenschaften auch für Europa zu erhalten – und Henry Kissinger hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Das ist unser Vermächtnis. Es war mit großen Belastungen für die transatlantischen Partner verbunden, für Amerikaner und Europäer. Das dürft ihr niemals vergessen! Es ist an Euch, es zu beschützen.

Was sind Ihre Hoffnungen, Ziele und Sorgen bezüglich Ihrer Zukunft in Bonn?

Ich hoffe, dass ich mit der Fakultät der Universität Bonn einen Beitrag leisten kann, Deutschlands Rolle im Spannungsfeld internationaler Sicherheit zu debattieren. Eine Debatte, die Bundespräsident Gauck und die Minister von der Leyen und Steinmeier initiiert haben und bei der es insbesondere um die Bedeutung von Deutschlands Verantwortung in diesem Bereich geht.

Haben Sie einen persönlichen Bezug zur Stadt Bonn?

Ich habe einige Jahre in Bonn gelebt, während ich für die Amerikanische Botschaft tätig war und freue mich darauf, nun ein drittes Mal nach Bonn zurück zu kehren. Ich habe schon oft beobachtet, dass der Ausspruch zutrifft: „It‘s an honor to be a Bonner!“ Ich mag es, am Rhein entlang zu radeln und durch die Altstadt in der Nähe der Bonner Universität zu schlendern.

Haben Sie eine Botschaft an die Studierenden?

Ich dränge die Studierenden dahingehend, sich bestmöglich anzustrengen, um von ihren Professoren zu lernen, dabei Fragen zu stellen und die besondere Möglichkeit zu nutzen, Ideen zu erforschen. Außerdem sollten sie auf jeden Fall Spaß haben!