Die Listen der SP-Wahl

— Diese Listen treten zur Wahl des 38. Studierendenparlaments vom 18. bis 21. Januar 2016 an —

Die LISTE
2015
gegründet | Spitzenkandidierende: Ephraim Beckers, Martin Hečimović, Laila Noemi Riedmiller

Die LISTE tritt 2016 zum ersten Mal zur SP-Wahl an. Sie ist die Hochschulgruppe der Parodie-Partei »Die PARTEI« und bezeichnet sich als »offiziellen Arm des Faktenmagazins Titanic«, einer Satirezeitschrift. LISTE ist nach eigenen Angaben ein Akronym für »Liste für integrativen Sex, Trinkkultur, Et cetera«. Auch wenn sich die Liste Die LISTE selbst nicht als Satire-Liste bezeichnet, ist die Ernsthaftigkeit ihres Wahlprogramms fraglich. Zumindest die Umsetzung ihrer Forderungen dürfte schwierig werden – etwa der Bau einer Mauer um das Juridicum. Der Studentenausweis solle zudem auf 100 %-recyclebares Toilettenpapier gedruckt, das dadurch eingesparte Geld für Freibier in den Mensen eingesetzt werden. Auch wenn Forderungen nach mehr Freibier traditionell CSU-Inhalte sind, lässt sich die Liste Die LISTE politisch Mitte-links verorten. Selbst ordnet sich die Liste allerdings in der »extremen Mitte« ein. Man scheint dort so extrem mittig zu sein, dass es keine eindeutige Position zur Einführung einer UniCard gibt: Die LISTE wünscht sich sowohl den Komfort einer UniCard als auch Proteste gegen die Finanzierung dieser.

Besonders viele Gedanken hat sich die Liste zur baulichen Umgestaltung der Universitätsgebäude gemacht. Diese sollen alle in der »Bonner Identitätsfarbe grau« gestrichen werden. Neben dem Mauerbau am Juridicum wollen die Kandidierenden zudem FKK-Bereiche in Bibliotheken umsetzen und Raucher-Bereiche in Hörsälen einrichten. Die Einführung von Uni-Sex-Toiletten ist eine zentrale Forderung der Liste. Die Trennung dieses Begriffs lässt vermuten, dass Die LISTE damit nicht nur die Schaffung geschlechtsunspezifischer WCs meint.

Die Liste Die LISTE rechnet mit einem guten Wahlergebnis: »Unser Analystenteam geht derweil von mindestens 22 (50 % + x) Sitzen aus.« Da sie zum ersten Mal antreten, zählen sie vor allem bisherige Nichtwähler zu ihrer potenziellen Wählerschaft. Und weil alle anderen Listen nicht so gut seien wie sie, werde man zusätzlich Zulauf von Wählern bekommen, die sonst einer »Alternativlosigkeit« ausgesetzt wären.

An welchen Koalitionen würde sich Die LISTE beteiligen? »Wir würden prinzipiell gerne mit allen potenziellen Steigbügelhaltern zur Macht koalieren.« Da man aber von einer absoluten Mehrheit ausgehe, stelle sich diese Frage derzeit sowieso nicht.   Alexander Grantl

Grüne Hochschulgruppe
2010 gegründet | Spitzenkandidierende: Alena Schmitz, Jonas Janoschka, Sinah Röttgen

Im vergangenen SP war die Grüne Hochschulgruppe (GHG) nicht vertreten – die Bewerbung zur Wahl war nicht rechtzeitig beim Wahlausschuss eingegangen. Dennoch haben Mitglieder der GHG in Ausschüssen des SP mitgearbeitet – in die sie von der Koalition aus Juso-HSG, LUST und Piraten-HSG gewählt wurden. »Wir sind wieder da? Wir waren nie weg!«, nennt die GHG das und versteht darunter auch ihre Mitarbeit im AStA, im Senat der Universität und in den verschiedenen Fakultätsräten. Ihr Ziel sei eine ökologisch-nachhaltige und soziale Universität, in der Studierende noch mehr mitbestimmen können sollen als bisher.

Ein traditionsgemäß grünes Thema sind bessere Bedingungen für Fahrradfahrer – eine zentrale Forderung der Grünen Hochschulgruppe. Dabei habe man schon verschiedene Erfolge erzielt, etwa die Sanierung des Radwegs zwischen dem Campus Poppelsdorf und Endenich oder der Ausbau von Fahrradabstellanlagen an verschiedenen Uni- und Mensagebäuden. Die Eröffnung einer weiteren Fahrradwerkstatt auf dem Campus Venusberg will die GHG auch voranbringen.

Um mehr studentische Mitbestimmung zu ermöglichen, fordert die GHG, alle Gremien der Universität (Senat, Beirat der Gleichstellungsbeauftragten, Fakultätsräte, …) paritätisch zu besetzten – so wären alle Gruppen mit gleichem Gewicht vertreten. Damit wolle man auf eine Verbesserung der Studienbedingungen hinarbeiten – wie etwa die Möglichkeit Lehrveranstaltungen zwischen verwandten Fächern tauschen zu können, die Prüfungsdichte zu verringern und die Vergabe von Noten transparenter ablaufen zu lassen. Zudem müsse die Universität Bonn auch unter Spardruck ihre Fächervielfalt behalten – den Streichungen ganzer Professuren wolle man mit Protesten, etwa im Rahmen des Bündnisses »SparUni Bonn« entgegenwirken.

Zudem bekennt sich die Liste zum Kampf gegen Sexismus, Homophobie und Rassismus an der Universität. Dazu sei auch das Weiterbestehen des LesBiSchwulen- und trans*-Referats, des Referats für Frauen- und Geschlechtergerechtigkeit und des AusländerInnen-Referats nötig.   Alexander Grantl

Juso-HSG
1969 gegründet | Spitzenkandidierende: Felix Breiteneicher, Lillian Bäcker, Claudius Sebastian Mathy

»Des einen Freud, des anderen Leid«, so heißt es manchmal im Volksmund. Umgedreht ließe sich so wohl am besten die Situation für die Jusos nach den letzten SP-Wahlen im Januar 2015 charakterisieren: Dank der verpassten Bewerbungsfrist der konkurrierenden GHG konnte die Hochschulgruppe, die sich selbst als »sozial, gerecht und demokratisch« beschreibt, im aktuellen SP mit 17 von 43 Sitzen stärkste Kraft werden.

Bevor man sich dem aktuellen Wahlprogramm der Jusos widmet, sollte man vorher allerdings einen Blick auf die bisherige Arbeit der Gruppe werfen: Ganz im Sinne des Ideals einer toleranten und solidarischen Gesellschaft haben die Jusos in diesem Jahr beispielsweise der Förderung eines alternativen Christopher-Street-Day in Bonn zugestimmt. Ebenso unterstützten sie die Ausweitung der Unterschriftenaktion des Bürgerbegehrens »Viva Viktoria« auf die Bonner Mensen. Vergeblich sucht man allerdings nach Beschlüssen oder Anträgen zu typischen Juso-Themen wie der Verbesserung der Wohnraumsituation für Studierende oder einer Ausweitung des BaFög. Vielleicht ein Grund, warum die Punkte nicht aus der Agenda für 2016 genommen wurden, die man allerdings auch als recht ehrgeizig beschreiben kann:

Folgt man dem kürzlich veröffentlichen Arbeitsprogramm, so geht es den Genossen vordergründig um – wenig überraschend – soziale Themen, die, wie eben angemerkt, nicht ganz neu sind: Ausmerzung von Diskriminierung jeglicher Art in der Uni, sei es der Gender-Gap oder auch die – von manchen wieder geforderte – Einführung der Studiengebühren. Ebenso sollen (und das dürfte den ein oder anderen Bolognakritiker freuen) mehr Masterplätze geschaffen werden. Auch die Einhaltung der Regelstudienzeit ist für die Jusos nichts Erstrebenswertes, als »Zielvorgabe« ist sie daher nicht mehr ständig zu propagieren, für so manche Studierende, die sich einem Burnout nahe fühlen, könnten sie daher wählbar sein.

Weitere Juso-Themen lassen sich im Schnelldurchlauf wie folgt zusammenfassen: Erhaltung des Semesterbeitrags sowie mehr Sprachkurse, erleichterter Zugang für Geflüchtete an die Uni, um nur ein paar zu nennen.   Letizia Vecchio

KULT
2015 gegründet | Spitzenkandidierende: Madeleine Heuts, Sophia Purrmann, André Thiele

Wer leicht zu beeindrucken ist, könnte sich daran stoßen, dass sich die neue KULT-Liste als »unpolitisch« bezeichnet. Wer besonders penibel ist, auch.Immerhin nimmt sie nun an einem veritablen Politzirkus teil. Mit dem Reizwort »unpolitisch« wird jedoch vor allem gemeint sein, dass man sich nicht als Teil bräsiger parteipolitischer Wirklichkeiten begreifen möchte. Die Gesten des Berliner Reichtags im winzigen Bonner Studierendenparlament – dafür ist sich die KULT-Truppe wohl doch zu schade.

So hemdsärmelig diese Wortwahl erscheinen mag, so hemdsärmelig sind auch ihre Ideen: Natürlich erregt das Vorhaben, eine Unibrauerei zu gründen, großes Aufsehen. Die Begründung ist originell und dabei gar nicht so abwegig, wenn man von der Frage absieht, wie die »soziale Lage der Region« qua Bierseligkeit stabilisiert werden soll. Man müsste es ausprobieren.

Weitere Ideen: UniCard, Unifestival, Bikesharing. Ein bisschen grün, ein bisschen piratisch, ein bisschen MTV Campus Invasion ohne Markus Kavka. Nichts davon tut besonders weh und könnte auch in anderen Hochschulgruppen in etwas spröderer Form vorgeschlagen werden. Interessanter erscheint der Gedanke, aus bereits bestehenden Rücklagen ein kostenneutrales Semesterticket für kulturelle Stätten (und Schwimmbäder – der Schwimmkunst wegen?) zusammenzuflicken. Was hier als »Kulturflatrate« bezeichnet wird – ein Begriff, der zuletzt eher netzpolitisch konnotiert war – könnte durchaus spannende Vernetzungseffekte zwischen der Universität und der kulturell Schaffenden (und Bademeistern) dieser Stadt verheißen.

Würde die KULT-Truppe im Studierendenparlament von der Wirklichkeit zerfleischt werden? Das wird man abwarten müssen. Die Ausrichtung der Liste ist nicht intellektuell, ganz und gar nicht stringent ideologisch, sondern hochgradig populär. Die wenig erbaulichen Wahlbeteiligungen in der Vergangenheit legen nahe, dass die bloße Existenz der KULT-Liste in erster Linie ein Statement ist, um die große, teilnahmslose Masse zum demokratischen Akt der Wahl zu mobilisieren.   Sohiel Partoshoar

Liberale Hochschulgruppe Bonn
2012 gegründet | Spitzenkandidierende: Hannah Birkhoff, Constantin Alexander Zoepffel, Seda Sabiye Ataer

Die LHG-Fraktion im Studierendenparlament ist stetig größer geworden. Da sie nach eigenen Angaben seit jeher darauf bedacht sei, Ideologiekämpfe innerhalb des SP mit einem eigenen Pragmatismusbegriff aufzubrechen, sieht die Gruppe um Hannah Birkhoff ihren Erfolg in ihrer Ausrichtung.

Entsprechend soll die folgende Legislaturperiode pragmatisch und evolutionär bestritten werden:
Web- und Podcasts von Vorlesungen sollen stärker forciert werden. Die Infrastruktur sei hierfür bereits vorhanden, allerdings gelte es, beim Lehrpersonal mehr Überzeugungsarbeit zu leisten.

Hier zeigt sich, wodurch sich der Freiheitsbegriff der Liberalen auszeichnet: freies Lernen, freies Lehren, freies Forschen, immer und überall. Die grundsätzlichen Strukturen sollen dabei nicht infrage gestellt werden.

Der AStA hingegen müsse auf seine Kernaufgaben reduziert werden, etwa um den Semesterbeitrag zu senken. So befürwortet die LHG die Abschaffung des Öko-Referats, dessen Veranstaltungen Bonner Studierenden nicht nützten. Das Referat für Frauen- und Geschlechtergerechtigkeit und das LesBiSchwulen- und trans*-Referats sollen abgeschafft werden – ersetzt durch ein Referat, dass sich für die Gleichberechtigung aller Menschen einsetze.

Zusätzlich verweist die LHG darauf, dass sie erfolgreich die Pseudonymisierung von Klausuren anstoßen konnte. Diese und weitere Streitpunkte werden oft im Kosten-Nutzen-Vergleich hinterfragt. Dies gilt auch für das Engagement für den Austritt aus dem »freien zusammenschluss von studentInnenschaften« (fzs) gemeinsam mit dem RCDS. Fragwürdig sei die Mitgliedschaft in diesem Dachverband, der ideologisch belastet und nicht an studentischen Bedürfnissen ausgerichtet sei. Etwa 28.000 € erhält der fzs jährlich aus dem Haushalt der Studierendenschaft.

Die Absicht der LHG liegt auf der Hand: weitere Anstöße für das große Ganze liefern, um den Status quo besser herauszuarbeiten.   Sohiel Partoshoar

Liste undogmatischer StudentInnen (LUST)
1980 gegründet | Spitzenkandidierende: Jana Klein, Kilian Clemens Hoffmeister, Ruth Reiferscheid

Die StudentInnen der LUST haben kein Parteiprogramm. Nicht, weil sie dazu keine Lust hatten, sondern: »Die LUST ist, was die aktuellen Mitglieder in ihrem Namen machen, folglich ändern sich die Ziele über die Jahre«, erklärt die Liste. Besonders Hochschulpolitik bedeute nicht die generalstabsmäßige Umsetzung großer Projekte, sondern kleinteiliges Abarbeiten von Teilschritten. Das versucht die LUST vor allem im AStA, denn das SP habe kaum Macht, seine Beschlüsse umzusetzen. Der Referent für politische Bildung und die Referentin für Frauen- und Geschlechtergerechtigkeit etwa sind LUST-Mitglieder. Der AStA solle sich zudem nicht scheuen, auch mal mehr Druck auf das Rektorat und das Studierendenwerk auszuüben.

Wer sich mit dem Wahlprogramm der LUST beschäftigt, stellt schnell fest: Es geht der Liste nicht nur um Hochschulpolitik. Die Bekämpfung von Sexismus, Homophobie und Antisemitismus sieht die LUST als eines ihrer zentralen Anliegen. Aktuell beschäftige die LUST vor allem die weitere »Professionalisierung« der AStA-Studierendenzeitung »Friedrichs Wilhelm«, die Ende 2015 die »BAStA« ablöste. Um Studierenden Platz zum Musikmachen und Kunstschaffen zu ermöglichen, fordert die LUST so genannte »selbstverwaltete Räume« – diesem Projekt sei man in der letzten Zeit deutlich näher gekommen. Die Urabstimmung über die Einführung einer UniCard hält man bei der LUST für »Pseudo-Politik«, weil das letzte Wort so oder so andere, etwa die Universität, hätten.

Die LUST stellt alles infrage – vielleicht auch die eigene Arbeit, wenn sie dem AStA teilweise und dem SP besonders »selbstgenügsame Inkompetenz« vorwirft. Ihre jederzeit präsente Kritik kennt keine Grenzen, letztlich gelte es auch, die aktuellen Studienbedingungen und die ganze Gesellschaft kritisch zu betrachten.

Im SP koalierte die LUST zuletzt mit der Juso-HSG und der Piraten-HSG. Die Grünen wären womöglich auch dabei gewesen, wenn sie zur letzten Wahl zugelassen worden wären. Die LUST, die den Schwerpunkt ihrer Arbeit ja eher im AStA als im SP sieht, verschaffte Mitgliedern der GHG die Möglichkeit, LUST-Sitze in einigen SP-Ausschüssen zu besetzen.   Alexander Grantl

Piraten-Hochschulgruppe Bonn
2008 gegründet | Spitzenkandidierende: Ronny Bittner, Michael Christian Wisniewski, Christoph Fabian Grenz

Datenschutz und Infrastruktur – mit diesen Begriffen könnte man die selbsterklärten Steckenpferde der Piraten-HSG zusammenfassen. Entsprechend kreisen die Zielsetzungen für die kommende Legislaturperiode um artverwandte Themen wie mehr Investitionen in das Hochschulrechenzentrum, den weiteren Ausbau des WLAN-Netzes bis in die Innenstadt hinein sowie eine besonnenere Einführung der Uni-Card. Bei Letzterem seien nämlich die Kosten für die Studierendenschaft nicht abzuschätzen. Weiterhin könne man dem Missbrauchsrisiko angesichts der Nutzungsvielfalt nur mit starken Verschlüsselungsmethoden begegnen. Dass im Wahlprogramm nicht zur Datensparsamkeit ermahnt wird, überrascht indes.

Darüber hinaus fokussiert sich das Programm auf die weiterhin angespannte Wohnraumlage, den verbesserungswürdigen Zugang zum Studium für Geflüchtete und die Förderung von Kulturgruppen. Hierbei wird auf das kommunalpolitische Zusammenspiel mit dem Bonner Kreisverband der Piratenpartei verwiesen, genauso, wie ihre IT-Kompetenz mit ihrem aktiven Engagement im AStA unterstrichen wird. Man hat von den alteingesessenen Hochschulgruppen gelernt. Aber die Piraten sind auch schon seit sechs Jahren im SP.

Anders als der RCDS und die LHG setzen sich die Piraten für den Erhalt der Mitgliedschaft im »freien zusammenschluss von studentInnenschaften« (fzs). Dabei scheint es ihnen ums Prinzip zu gehen: Der Bonner Studierendenschaft würde eine bundesweite Stimme verloren gehen. Auf die Kritik der Gegner wird hingegen nicht offensiv eingegangen.

Im AStA bringen sich die Piraten da ein, wo sie sich wohlfühlen: Im IT-Referat betreuen sie die IT-Struktur des AStA, im Öffentlichkeitsreferat versuchen sie die nötige Transparenz über die Arbeit des AStA herzustellen.

Alles in allem setzt das – rein männliche – Vierergespann auf bewährte Fragestellungen, ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Freiheit von Ideologiekämpfen leben sie in nüchternster Form vor.   Sohiel Partoshoar

Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) & Unabhängige
1947 gegründet | Spitzenkandidierende: Chiara Mazziotta, Felix Krings, Enrico Ramón Kotalla

Spätestens bei den Stichworten »soft skills« und »Gründerkompetenz«, die im Wahlprogramm nonchalant Erwähnung finden, offenbaren sich die Ambitionen des Bonner RCDS. Die Wahlforderungen zeugen von Kompetenz (noch so ein soft skill) und beziehen außeruniversitäre Strukturen – wie etwa die Landesregierung – selbstverständlich mit ein. Schuld an der mangelnden Grundfinanzierung der Universität habe die rot-grüne Landesregierung, die daraus folgenden Konsequenzen, etwa Stellenstreichungen, träfen das Kernanliegen der Universität – Lehre und Forschung. Man setze sich auf Landesebene für die Ausfinanzierung der Hochschulen ein.

Vor Ort in Bonn fordert der RCDS darüber hinaus Verbesserungen des Studieninformationssystems BASIS, mehr Gruppenarbeitsplätze in Bibliotheken und ein attraktives Dienstleistungsangebot des AStA. Was sich zunächst in griffigen Parolen zusammenfassen lässt, ist jedoch insgeheim recht detailverliebt (Ohropax in den Bibliotheken!). Abgesehen von der Situation der Flüchtlinge, auf die weitestgehend jede Hochschulgruppe konstruktiv eingeht, lägen dem RCDS also die alltäglichen Bedürfnisse der Studierendenschaft am Herzen. Der RCDS betont, dass man beizeiten auch mit Ideen der Grünen und der Jusos einverstanden sei und die Entwicklung der neuen KULT-Gruppe neugierig verfolge. Besonders erfolgreich habe man im SP bisher mit der Liberalen Hochschulgruppe zusammengearbeitet, etwa bei der Forderung nach dem Ende der Mitgliedschaft im »freien zusammenschluss von studentInnenschaften« (fzs). Über dieses Vorhaben findet nun eine Urabstimmung statt – dank der Arbeit von RCDS und LHG. Als zweitgrößte Gruppe im SP hätten für viele der Vorhaben dennoch die Mehrheiten gefehlt – als Oppositionsliste habe man nicht sein ganzes Potenzial entfalten können. Zuletzt beantragte der RCDS trotzdem erfolgreich die Abberufung des Finanzreferenten (Bericht auf Seite 10) – mit Stimmen aus der Koalition.

Selbst wolle man als Koalitionspartner nur Gruppen ausschließen, die zu ideologisch und nicht konstruktiv Politik machten.   Sohiel Partoshoar & Alexander Grantl

 

Wahlen sind keine Säugetiere

KEIN INTERESSE  An dieser Stelle müsste eigentlich ein begeisternder Text stehen, der die Möglichkeiten studentischer Mitbestimmung in den höchsten Tönen lobt. Aber das hilft nicht. Über das geringe Interesse an den Wahlen und die zahlreichen Versuche dies zu ändern.

VON HANNAH RAPP

wahl

Sie hat’s doch auch geschafft! Eine Wählerin aus dem Jahr 2015 (Foto: Ronny Bittner)

Die Wahlbeteiligung an den SP-Wahlen der Uni Bonn lag in den letzten Jahren mehr oder weniger beständig bei um die 14 Prozent. Eine extrem niedrige Wahlbeteiligung, die das allgemein mangelnde Interesse an der Hochschulpolitik widerspiegelt. Studierendenparlamente gibt es in Deutschland erst seit den 60er Jahren und quasi seit der Einführung von SP-Wahlen ist die Wahlbeteiligung stetig gesunken. Es gibt seit Jahren Versuche – nicht nur in Bonn – Studierende für die Wahlen und die Hochschulpolitik zu begeistern. Zu den drastischsten gehört wohl die Aktion der Uni Köln, die 1966 mit der Verlosung eines von einem Autohaus gestifteten roten VW-Käfers unter allen Wählern warb und so eine grandiose Wahlbeteiligung von 62 Prozent erreichte.

»Rettet die Wahlen« (2015), »Miss-Wahl« (2013) oder »Ausgewählt« (2012) – unter diesen Titeln bemüht sich die fleißige AKUT-Redaktion seit Jahren darum, die Wichtigkeit der Beteiligung an der Wahl zu verdeutlichen und das Interesse am SP zu erhöhen. Wir führten Interviews zu den politikwissenschaftlichen Hintergründen der niedrigen Wahlbeteiligung (AKUT Nr. 327), machten im Hofgarten eine Umfrage, ob die Studierenden überhaupt wissen, was das SP ist (AKUT Nr. 324), begleiteten die Wahlleiterin bei ihrer Arbeit (AKUT Nr. 329) und stellten unermüdlich die Kandidaten vor. Viel getan hat sich in Sachen Wahlbeteiligung in den letzten 5 Jahren leider nicht.

Auch die Gründe für die geringe Wahlbeteiligung scheinen sich seit 2011 nicht verändert zu haben. Die Umfrage aus der damaligen AKUT ergibt Ähnliches, wie eine kleine Umfrage unter Studierenden im Dezember 2015: Nicht aus Desinteresse wird nicht gewählt, sondern aus Uninformiertheit. Die Infos zur Wahl gehen wohl in der Masse an Plakaten und Flyern an der Uni unter. Als weiteren, möglichen Grund dafür, dass nur wenige Studierende wählen, wird der Zeitpunkt der Wahl im Januar zeitlich nahe der Prüfungsphase genannt. Außerdem meinen viele, dass eine persönlichere Ansprache durch die Kandidaten sie zur Wahl motivieren würde.

An Pendlern und Erasmus-Studierenden scheint die Wahl sowieso vorbeizugehen, doch selbst Bib- und Uni-Maniacs fehlt teilweise der Durchblick in der Hochschulpolitik. Beeinträchtigend wirkt sich auch das Bachelor/Master-System aus – meistens verbunden mit einem Stadtwechsel nach dem ersten Abschluss und vielleicht noch einem Auslandsaufenthalt. Man denkt eh nichts bewegen zu können, beziehungsweise von den vorangetriebenen Veränderungen selber nicht mehr zu profitieren, da man vorher Stadt und Uni schon wieder verlässt. Doch der eigentliche Kern der Sache bleibt  – trotz manchen durchaus nachvollziehbaren Gründen für das Nicht-Wählen – simpel: Sein Recht auf eine Wahl zu nutzen, ist immer wichtig! Durch die Urabstimmungen zur Unicard und zum Austritt aus dem fzs (freier zusammenschluss von studentInnenschaften) sind diese SP-Wahlen besonders interessant und spannend. Sie könnten auch einen positiven Einfluss auf die Wahlbeteiligung haben: 2008, als an der Uni Bonn über das NRW-Ticket abgestimmt wurde, lag die Wahlbeteiligung nämlich bei über 30 Prozent. 20 Prozent der Studierenden, also etwa 7034 Studierende, müssten vom 18. bis zum 21. Januar 2016 zustimmen, damit der Beschluss bindend für die Organe der Studierendenschaft ist.

Ist das hier nun doch zu einem Wahlplädoyer geworden? Für das nächste Jahr wünsche ich der AKUT-Redaktion,   ganz anders über die Wahl berichten zu können, weil es so viel Interesse daran gibt. Bis dahin hoffe ich auf ein kleines Wahlwunder und frage mich, wo ich auf die Schnelle einen roten VW-Käfer herbekomme.

WG BESUCHT!

Wir besuchen eine WG in Endenich. Von den normalerweise sieben Bewohnern treffen wir fünf zum Interview. Sie studieren Psychologie, Asienwissenschaften, Archäologie, Biologie und VWL. In ihrem Wohnheim nennt man sie einfach »die Party-WG« – und das zurecht.

Interview Philipp Blanke / Fotos Alexander Grantl

Von links: Helen (22), Philipp (25), Christin (24), Ferdinand (20), Evin (22) (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Von links: Helen (22), Philipp (25), Christin (24), Ferdinand (20), Evin (22)

Woher kommt ihr?
E  Ganz unterschiedlich; aber interessanterweise alle aus Dörfern.
P  Das sind so unvergessliche Namen wie Rolandswerth, Dülmen, Schiltach, Frankendorf oder Hehlrath.

Seid ihr eine Zweck-WG oder Familien-Ersatz?
F  Die WG ist die Familie! Wenn du mal was lernen, oder lesen willst, dann solltest du nicht ins Wohnzimmer kommen – denn da triffst du immer jemanden und quatschst dich fest.

Wie viel Miete zahlt ihr?
C  So um die 200 Euro pro Person.

Wer duscht am längsten?
E  Das ist eigentlich kein Problem, weil wir zwei Badezimmer haben.

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Was nervt am meisten an eurer WG?
C  Die Küche! Meistens dreckig und man hat keine Lust aufzuräumen.
E  Und die Klingel! Die ist sehr laut.

Putzplan oder »läuft schon irgendwie«?
F  Unser Plan funktioniert in der Regel gut. Da gibt’s wenig Beschwerden.

Habt ihr ein Haustier?
H  Wir haben über einen Hund nachgedacht. Ein großer sollte es auf jeden Fall sein! Aber das dürfen wir hier glaube ich gar nicht.

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Liebstes Möbelstück?
E  Das ist unser Tisch! Auf dem passiert fast alles. Da haben wir auch mal ein Bierpong-Feld aufgemalt – damit man nicht schummelt.

Euer schönstes WG-Erlebnis?
F  Nach einer WG-Party haben wir einen Zettel vom Nachbarn bekommen, da stand dann »I couldn’t sleep«.
E  Die Party war auch echt toll! Das Motto war »Roomies« und die Leute sollten sich so wie wir verkleiden. Jeder von uns hatte dann ein Team, die alle so aussahen wie man selbst.

Wie würdet ihr euch selbst beschreiben?
E  Wie ein bunter Regenbogen!
P  Bunter als ein Regenbogen!

Gibt es ein WG-Ritual?
F   Jeder schickt z.B. eine Karte aus seinem Urlaub an die WG. Die hängen wir dann an die Wand im Wohnzimmer.

Jetzt wieder Blümchenknicken!

Neues Album – »Saloontüre aufknallen, reinstapfen, Theke besetzen, zahlreiche Drinks auf ex trinken, Rauferei anfangen, ein Schlachtfeld hinterlassen, Spaß haben und den Mann am Klavier nicht erschießen!« – so beschreiben »Die Blümchenknicker« ihr neues Album. Zurecht?

von Florian Eßer

(Foto: Blümchenknicker)

(Foto: Blümchenknicker)

Die Blümchenknicker: Allen Studierenden, die nicht hinter dem Mond, sondern in Bonn und Umgebung leben, sollte dieser unkonventionelle Name und die Band dahinter ein Begriff sein. Sei es, weil man bereits Fan der ersten Stunde ist, weil die AKUT schon einmal über sie berichtete (Winter 2014/15 Nr. 335), oder aus dem simplen Grund, dass die Gruppe Bonns »Most Mucke Truppe« ist.

Am 23. Oktober veröffentlichte die musikalische Großfamilie (22 Bandmitglieder) ihr neues Album »Nachwürzen«. Bei der Platte liegt die Würze aber nicht unbedingt in der Kürze, denn mit 14 Songs übertrifft die Scheibe so manches »Wir haben schnell ein paar Lieder hingeschmiert«-Produkt der großen Musikmogule Universal und Co.

In den Songs, die Titel tragen wie »Ponyhof« und »Katastrophenpornographie«, besingen Bender Corleone Flowers, Klabautermann, Fidel Frenzy und die zahlreichen weiteren Blümchenknicker den »alltäglichen Wahnsinn«, der in ihrer Performance aber schnell einmal zu etwas »zwischen künstlerischer Politik und politischer Kunst« werden kann.

Wie darf man sich denn den diesen Wahnsinn innerhalb einer so mitgliederstarken Gruppe vorstellen? »Alle haben sowieso schon auf dem Schirm, dass ein kollektiver Kompromiss gefunden werden muss«, lautet die kollektive und kompromisslose Antwort der Blümchenknicker. Die Arbeit am Album war »ein demokratisches Auspendeln von Vorschlag, Veto und Gruppenbeschluss«, heißt es weiter. Nun, das klingt jetzt doch wieder recht politisch. Aber keine Sorge: Die Songs halten neben Gesellschaftskritik und Nachdenklichkeit nicht nur Futter für die oberen Körperregionen bereit, sondern auch für die tieferen. …? Nee, noch tiefer!

Im Endeffekt ergibt sich im musikalischen »Hexenkessel« nämlich ein »biologisch abbaubares 2-Phasen-Menu – erst für die Beine, dann für den Kopf«. Wer politikverdrossen ist, der kann zu den Songs also auch einfach das Tanzbein schwingen.

Somit steht Bonns Most Mucke Truppe »in den Startlöchern, um Hirne und Hintern zum Wackeln zu bringen«, wie sie auf ihrer Facebook-Seite verkündet. Dabei muss wiederum kein Kompromiss gefunden werden. Es kommt sowohl auf den Hintern, als auch auf das Gehirn an – da unterstehen die beiden Körperregionen quasi einer biologischen Determiniertheit: »Da Musik auf dem Weg zwischen Ohrmuschel und Unterleib am Hirn vorbei muss, richtet sie dort eigentlich immer irgendetwas an«, sagt Sänger und Gitarrist Bender Corleone Flowers. Klingt logisch, muss stimmen. Was die Musik letztendlich anstellt, davon kann sich dann jeder beim Hören des Albums selbst ein Bild machen. Dabei sollte aber unbedingt das Band-Statement zur Lage der Nation 2015 berücksichtigt werden: »Weniger meckern, mehr mögen«. Ausführlich erklärt soll das heißen: »Unzufriedenheit entsteht beim Einsumpfen in der eigenen Denkblase… daraus entsteht irgendwann ein Impuls, sich in seinem Gemecker im Kreis zu drehen – manche machen da einen echten Volkssport draus, und am Ende solcher Ungeselligkeit bleibt schnell die Menschlichkeit auf der Strecke…und meistens stellt man dann ja doch fest, dass der andere gar nicht so übel is – unpassend vielleicht, aber nicht übel. Wenn man sich dann noch anschaut was zur Zeit in Zeitungskommentaren und sozialen Netzwerken abgeht, sieht man schnell: Dieses Land kann im Moment viel Anti-Antipathie-Party gebrauchen!«. Den gleichnamigen Song zu dieser Party findet man ebenfalls auf dem Album. Wen man dort allerdings (noch) nicht finden kann, das ist der Wunsch-Gastmusiker der Gruppe: Klapp-Klapp-Klapperstrauß Helge Schneider.

Fairkehrte Welt

Foodsharing – Ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel landet im Abfall – unabhängig davon, ob sie noch genießbar sind oder nicht. Die Aktivisten von »Foodsharing« wehren sich gegen diese Verschwendung.

von Maike Walbroel

(Foto: Maike Walbroel / AKUT)

(Foto: Maike Walbroel / AKUT)

So leer ist der Fair-Teiler in der Ermekeilkaserne sonst nicht. Im Regal liegen nur einige Äpfel und im Kühlschrank herrscht ebenso gähnende Leere. Stephan Tamme ist – trotz oder gerade wegen der Leere?! – sehr zufrieden: »Anfangs hatten wir Sorge, ob der Fair-Teiler hier angenommen wird. Aber inzwischen ist die Nachfrage unter anderem auf Facebook sehr groß«, sagt er und erzählt von einer ganzen Autoladung Zucchini, die er gerettet und danach zum Mitnehmen in die Regale gelegt hatte. »Das ging wahnsinnig schnell. Am gleichen Tag waren alle weg!«

Fair-Teiler, Foodsharer, Foodsaver – diesen Begriffen begegnet, wer sich über Lebensmittelrettung informiert. Foodsharing gibt es seit 2012. Ziel der Initiative ist es, die globale Lebensmittelverschwendung zu stoppen, das heißt, Essen vor der Tonne zu bewahren und stattdessen zu verteilen. Das Abholen übernehmen die sogenannten Foodsaver, das sind Ehrenamtliche jeden Alters – unter ihnen auch viele Studierende. Sie sprechen Betriebe an und bemühen sich um Kooperationen. Dabei gehen sie nicht nur zum großen Supermarkt, sondern auch zu kleineren Unternehmen wie zu Bäckereien, Cafés oder zu Imbissen. Wer genau die Betriebe sind, das verrät foodsharing nicht.

Die Lebensmittelretter nehmen übrigens alles mit. »Wir verpflichten uns, alles anzunehmen, was der Betrieb uns gibt. Aber leicht Verderbliches wie Fleisch oder Fisch entsorgen wir notfalls«, so Tamme. Für die Betriebe ist eine Zusammenarbeit mit foodsharing aus mehreren Gründen attraktiv. »Die Unternehmen betreiben Image-Pflege, da sie keine Lebensmittel entsorgen, sondern sie weitergeben. Außerdem sparen sie Müllkosten«, erklärt Tamme, »denn Supermärkte zum Beispiel zahlen pro Kilogramm Gewicht einen bestimmten Preis und wir nehmen ihnen den Müll ab.«

Was dann mit dem geretteten Essen passiert, halten die Richtlinien von foodsharing fest. Anders als man vermuten könnte, werden die Lebensmittel nicht etwa nur Bedürftigen gespendet. Jeder Foodsaver entscheidet selbst, was er mit seiner Abholung tut – er kann sie für sich selbst mitnehmen, Essen an Freunde, Bekannte, Nachbarn oder Kollegen verschenken. Oder er bringt es in einen sogenannten »Fair-Teiler«.

Das können einfache Kisten vor Wohnhäusern sein oder eben ganze Räume wie in der Ermekeilstraße auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne. Den Fair-Teiler dort gibt es erst seit September 2015. »Noch ist das hier der einzige Fair-Teiler in Bonn mit einem Kühlschrank«, berichtet Tamme. Andere foodsharing-Orte in Bonn findet man zum Beispiel im Bistro Rosarot und im Café Fuchsbau in Beuel oder im LIMES-Institut. Wegen des Kühlschranks können in der Ermekeilstraße natürlich auch Salate oder andere Kühlwaren geteilt werden.

Ein über die Plattform
foodsharing.de organisiertes Team schaut alle zwei Tage im Fair-Teiler nach dem Rechten. Ganz ausschließen, dass doch etwas verdirbt oder schimmelt, können sie allerdings nicht. »Wir putzen hier regelmäßig und sortieren gegebenenfalls Lebensmittel aus«, betont Tamme, »aber wir vertrauen auch darauf, dass man sich anschaut, was man mitnimmt und essen möchte.«

Jeder, der den Fair-Teiler besucht, kann sich nicht nur etwas nehmen, sondern auch selbst Lebensmittel mitbringen, die noch genießbar sind, aber sonst entsorgt würden – z.B., wenn etwas nicht schmeckt oder eine Packung zu groß ist.

Auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne befindet sich der Fair-Teiler in einer denkbar günstigen Umgebung: Die Ermekeil-Initiative bewirbt das Gelände als »Quartier mit integrativem Nutzungskonzept« – es gibt urban gardening, ein Repair-Café, Co-Housing, ein alternatives Wohn-Projekt, sowie gemeinsame Kochabende. Auch an die circa 300 Flüchtlinge, die seit August diesen Jahres in der Ermekeilkaserne leben, hat foodsharing Bonn gedacht: »Wir haben kleine Piktogramme gemalt – z.B. mit Bildern und Beschriftungen für Fisch, Schweinefleisch oder vegane Lebensmittel. So versuchen wir, allen gerecht zu werden.«

Aber ist foodsharing wirklich nötig? Wird tatsächlich noch so viel Essen weggeworfen? Es wird. Ungefähr jedes achte Lebensmittel wird entsorgt – das sind allein in Deutschland 11 Millionen Tonnen jährlich. Zudem nehmen Foodsharer gemeinnützigen Vereinen wie den Tafeln nichts weg, wenn sie ihre Lebensmittel-Abholungen machen: »Die Tafeln sind rechtlich dazu verpflichtet, nur Essen anzunehmen, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen ist«, erklärt Tamme, »wir von foodsharing hingegen dürfen auch abgelaufene Lebensmittel annehmen. Daher sehen wir uns nicht als Konkurrenten zu den Tafeln, sondern als Ergänzung«.

Selbst aktiv werden und Lebensmittel vor dem Wegwerfen retten kann übrigens jeder: Wer keinen Fair-Teiler in der Nähe hat (die genauen Standorte findet ihr im Internet), der kann sich auf foodsharing.de registrieren und einen Essenskorb zur Abholung anbieten oder sehen, wo es in der Nachbarschaft andere Körbe gibt. Vom Foodsharer zum Foodsaver wird man übrigens, indem man sich mit den Verhaltensregeln und Richtlinien von foodsharing auf deren Homepage vertraut macht und das kleine Quiz dazu besteht. Dann kann man an Treffen mit anderen Foodsavern teilnehmen – zum Beispiel mit den ungefähr 200 Aktiven in Bonn – und später auch eigene Abholungen organisieren.

Für Stephan Tamme ist foodsharing viel mehr als nur Essen retten: »Ich habe viele tolle Leute aus allen möglichen Schichten und in den verschiedensten Lebenssituationen kennengelernt. Jeder kann mitmachen.«

Schuld an der Lebensmittelverschwendung seien übrigens nicht nur die Konzerne, sondern auch die Verbraucher. »Der Kunde erwartet, dass sein Brot auch noch um 19 Uhr frisch gebacken wird«, so Tamme, »wen wundert es da, wenn Supermärkte Brot, Obst oder Gemüse wegwerfen, das noch genießbar ist, wenn sie den Platz für frischer aussehende Waren brauchen?« Für die Zukunft wünscht sich Stephan Tamme, dass foodsharing überflüssig wird, weil die Lebensmittelverschwendung aufhört. Vielleicht ist der leere Fair-Teiler an diesem Tag schon ein gutes Zeichen.

Zum Fernsehen ins Museum

Ausstellung – Von Heidi Klum über Andy Warhol bis hin zu genagelten Fernsehgeräten. Das Bonner Kunstmuseum zeigt mit der Ausstellung »TeleGen« das spannende Verhältnis von Kunst und Fernsehen. Es gibt allerhand zu entdecken!

von Dominique Müller

(Foto: Dominique Müller / AKUT)

(Foto: Dominique Müller / AKUT)

Auch wenn die Ausstellung auf den ersten Blick recht überschaubar wirkt, sollte man definitiv Zeit mitbringen. Seit dem ersten Oktober kann man sich im Kunstmuseum anschauen, wie sich verschiedenste Künstler – insgesamt stolze 45 an der Zahl – mit dem Thema Fernsehen auseinander gesetzt haben. Angefangen in den 1960er Jahren bis in die Gegenwart, begibt sich der Museumsbesucher auf eine Art Rundgang durch die Geschichte. Die Ausstellung ist so konzipiert, dass es sieben verschiedene Raumkapitel gibt, jedes mit einem anderen Namen versehen. Von Once Upon A Time, welches den Beginn darstellt, bis Talk Talk Talk und Switchover – die Titel sind Programm.

Wer vor dem Besuch der Ausstellung erwartet, ausschließlich Fernsehapparate vorzufinden, wird schnell eines Besseren belehrt. Natürlich sind sie anzutreffen, die Fernseher und das nicht zu knapp. Jedoch findet man bereits im ersten Raum ebenfalls eine fotografische Arbeit von Dennis Hopper, sowie einen Siebdruck von Andy Warhol, die sich beide mit John F. Kennedys Tod auseinandersetzen. Die gesamte Ausstellung ist gattungsübergreifend angelegt. Man trifft auf Fotografie und Skulptur, aber auch auf Malerei und Installation. So unterschiedlich diese Genres und ihre Künstler auch sein mögen, in allen Werken ist der Bezug zum Fernsehen zu finden. Im historischen Teil zu Beginn der Ausstellung sind die frühen Arbeiten aus den 1960er Jahren untergebracht. Diese beschäftigen sich noch sehr mit dem Medium Fernseher, genauso wie dem »Apparat als Objekt«. Schlug doch Günther Uecker beispielsweise 1963 zahlreiche Nägel in ein brandneues Fernsehgerät.

Da sich in den 1970/80er Jahren hauptsächlich mit der Videokunst auseinandergesetzt wird, werden diese bewusst ausgespart und die Ausstellung setzt wieder in den 1990er Jahren ein. In diesem zweiten Teil der Ausstellung gibt es verschiedenste Arbeiten, die auf verschiedenste Fernseh-Genres, wie Talkshows, Serien oder Nachrichten eingehen. Dort können wir unter anderem lernen, dass durch die stetige Wiederholung von grausamen Kriegsbildern in den Nachrichten nach und nach eine gewisse Distanzierung und Abstumpfung erreicht wird, oder können uns Heidi Klums wohl berühmtesten Satz »Ich habe heute leider kein Foto für dich« in Dauerschleife anhören.

Insgesamt möchte die »TeleGen«-Ausstellung nicht ausschließlich Kritik am Fernsehen und unserem Umgang damit äußern. Laut Kuratoren kann sie uns auch die Augen öffnen »für Dinge die wir schon scheinbar kennen, aber nicht bewusst wahrgenommen haben«, da Fernsehen mittlerweile selbstverständlich geworden ist und man vielleicht nicht mehr allzu genau hinsieht.

Da die Ausstellung nicht nur zum Anschauen, sondern auch zum Anfassen gemacht ist, wirklich viel Abwechslung bereithält und der Eintritt für Studierende, wie immer, erschwinglich ist, sei an dieser Stelle noch nicht alles vorweggenommen, sondern ich fordere euch nur auf: Schaut euch die Ausstellung selbst an und bildet euch dann eine eigene Meinung!

Löwen im Rheinland

Soziales Engagement – Gerhard Bigalke ist Distrikt-Governor der Lions Rheinland-Süd und damit Vertreter von rund 2700 Ehrenamtlichen. In der AKUT gibt der pensionierte Bundeswehr-Oberst einen Einblick in die Strukturen und die Arbeit der Lions.

Interview Phillipp Blanke

(Foto: Privat)

(Foto: Privat)

AKUT   Nach welchem Motto helfen Sie?
BIGALKE   Unser Prinzip lautet »We Serve«. Viele übersetzen es mit »dienen«, ich sage lieber »helfen«. Das ist unser Hauptanliegen. Ich habe das in meinen Wahlspruch »Freude durch Helfen« aufgenommen, weil es mir wichtig ist, zu zeigen, dass beide Aspekte einander dienen.

AKUT   Wie helfen Sie denn konkret?
BIGALKE   Wir haben zum Beispiel in meinem Club Meckenheim-Wachtberg immer große Freude bei unserer Weihnachtsaktion. Kinder aus finanziell schwachen Elternhäusern können Wunschzettel schreiben. Die Wünsche kommen dann zu uns und wir erfüllen sie zu 99%. Damit können wir immer rund 100 Kindern eine Freude machen. Das alles geht natürlich nur mit der tatkräftigen Hilfe der Club-Mitglieder.

AKUT   Woher wissen Sie, welche Kinder Ihre Hilfe brauchen?
BIGALKE   Das ist natürlich schwierig. Jedes Mitglied hat hier und da offene Ohren, oder kennt jemanden, der weiß, wo Hilfe besonders nötig ist. So baut sich langsam ein Netzwerk auf, durch das wir gezielt helfen können.

AKUT   Wie sind die Lions im Rheinland organisiert?
BIGALKE   Der Distrikt Rheinland war mit 144 Clubs der viertgrößte Distrikt der Welt. Das war aber einfach nicht mehr zu organisieren. Also haben wir uns 2012 geteilt, einmal in Rheinland-Nord und Rheinland-Süd. Köln, Aachen und Bonn gehören seitdem zum südlichen Distrikt.

AKUT   Wie viele Clubs gibt es zur Zeit in Ihrem Distrikt?
BIGALKE   Wir haben momentan 79 Clubs, Tendenz wachsend. Die Clubs unterscheiden sich in Herren-, Damen- und gemischte Clubs, sowie unsere jungen Leo-Clubs. Erfreulicherweise konnten wir in den letzten Jahren unseren Frauenanteil auf jetzt 15% steigern.

AKUT   Warum gibt es eine Unterscheidung nach Geschlechtern?
BIGALKE   Das hat historische Gründe. Die Geschichte der Lions beginnt 1917 mit dem Zusammenschluss einiger amerikanischer Business-Clubs, die nur aus Männern bestanden. 1987 haben sich die Lions-Clubs für Frauen geöffnet. Damit gib es nunmehr drei Clubformen.

AKUT   Welches Klischee begegnet Ihnen am häufigsten?
BIGALKE   Meistens, dass wir alte Herren seien, die Zigarre rauchen und Rotwein trinken. Aber das stimmt nicht! Allein in meinem Kabinett, vergleichbar mit einem Präsidium, sind ein Drittel Frauen. Und im Distrikt haben wir insgesamt vier reine Damenclubs.

AKUT   Wie sind die Lions global strukturiert?
BIGALKE   Wir haben einen International President, dann kommen die Distrikt-Governor und dann schon die Club-Präsidenten. Also eine dreistufige Führungsstruktur die ganz einfach und unkompliziert aufgebaut ist. Dazwischen gibt es natürlich Beauftragte und Stellvertreter, aber im Kern ist das eine sehr straffe Organisation.

AKUT   Wie helfen sie weltweit?
BIGALKE   Wir engagieren uns in vielen Bereichen. Unter anderem auch in der »Sight-First«-Kampagne um vermeidbare Blindheit zu bekämpfen. Hier gibt es eine bemerkenswerte Möglichkeit: Wenn wir in Deutschland bis zum 19. November 500.000 Euro an Spendengeldern erreichen, verdoppelt die RTL-Stiftung bei ihrer Spendengala diese Summe – und das Bundesentwicklungshilfeministerium (BMZ) verdreifacht das Geld nochmals. Also ist hier eine große Chance gegeben, Gutes zu erreichen. 

Sternzeichen: Löwe

Soziales Engagement – Der Bonner Leo-Club engagiert sich seit knapp 30 Jahren für soziale Projekte. Die Mitglieder sind vielfältig – vom Veganer bis zum Jäger ist alles dabei. Alle eint das Engagement für die gute Sache; getreu dem Motto: Vor Ort helfen und Gutes tun.

von Philipp Blanke

Bernadette und Johanna sehen gar nicht aus wie Raubtiere (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Bernadette und Johanna sehen gar nicht aus wie Raubtiere (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Es ist der Dienstagmittag vor dem kalendarischen Herbstanfang. Ich versuche Johanna Lutter, die ehemalige Präsidentin der Bonner Leos zu erreichen. Wir verabreden uns für den kommenden Donnerstag in der Studikneipe, um über die Bonner Leo-Organisation zu sprechen.

Ich treffe Johanna gemeinsam mit Bernadette Ditges, der derzeitigen Vize-Präsidentin der Bonner Leos. Da die Studikneipe wohl schon früh Winterschlaf hält und nicht aufmachen will, gehen wir ein paar Straßen weiter.

Im Butcher’s bestellen wir zwei Biere und einen Salbei-Tee. Ich frage: Wer sind die Leos? Johanna überlegt kurz und beantwortet dann meine Standard-Frage erwartungsgemäß mit einer Standard-Antwort: »Leos sind Jugendliche zwischen 16 und 30 Jahren, die sich in einem Club zusammenfinden und sich für soziale Dinge aller Art engagieren.«

Die Leos sind die Jugendorganisation der Lions. Das Kürzel Leo steht für Leadership Experience Opportunity. 1970 gründete sich der erste Leo-Club in Deutschland, weltweit gibt es um die 6600. In den Clubs sind Schüler, Studierende, Auszubildende und Berufstätige ehrenamtlich organisiert. Jedes Jahr wählen sie einen Club-Vorstand, der wie in einem Verein aus einem Vorsitzenden, einem Stellvertreter und einigen Beauftragten besteht. Bei den Leos heißt das in Anlehnung an die amerikanischen Wurzeln der Organisation Präsident, Vize-Präsident, Clubmaster und Activity-Beauftragter.

Während meiner Recherche stoße ich häufig auf den Begriff »Activity«. Dies sei aber nur ein anderes Wort für eine Veranstaltung eines Leo-Clubs, erklärt mir Johanna. Ein Beispiel sei die »Ein-Teil-mehr-Aktion«: »Das heißt, wir stehen vor Supermärkten und bitten die Leute ein Teil mehr zu kaufen. Konserven, Zahnpasta, Nudeln, alles was haltbar ist.« Die gesammelten Waren werden dann gespendet. Eine andere klassische Leo-Activity sei auch die Car Wash-Aktion. »Dabei stellen sich Leos an die Tankstelle, und für fünf bis zehn Euro saugen sie dann das Auto«, erklärt Bernadette. Bei diesen Activities kommen neben den Sachspenden schon mal 500 Euro zusammen, die Initiativen wie der Bonner Tafel, dem Kinderhospiz, oder der Aktion »Humor hilft heilen« von Eckart von Hirschhausen zu Gute kommen.

Im Butcher’s sind mittlerweile die Fernseher angemacht worden. Da in der 2. Bundesliga Englische Woche ist, läuft die Übertragung des Spiels Leipzig gegen Freiburg. Am Nebentisch pokern acht Mann sehr lebhaft. Johanna erzählt von den Club-Abenden der Leos. Die könne man sich in etwa wie ein ganz normales Mitgliedertreffen vorstellen. »Es ist sehr unterschiedlich wie viele Leute kommen. Das hängt davon ab, ob Semesterferien sind oder nicht«, sagt sie. Normalerweise seien es zwischen 10 und 20 Leute – ganz bunt gemischt. »Wir haben eine Veganerin und mehrere Jäger bei uns – und es läuft!«, ergänzt Bernadette schmunzelnd. Wie bei vielen ehrenamtlichen Organisationen gibt es bei den Leos starke und schwache Jahre. Es habe eine Zeit gegeben, in der man mit nur vier Leuten Aktionen organisieren musste. Seit dem letzten Jahr gehe es aber stark aufwärts. »Gerade in den letzten Monaten sind wir sehr zusammengewachsen«, berichtet Bernadette. Mit vielen Leuten über längere Zeit arbeiten zu können, würde auch bei der Suche nach neuen Mitgliedern helfen. Sich als Team zeigen zu können, sei einfach eindrucksvoller.

Während wir uns weiterhin zwischen einem Mix aus Fußball-Übertragung und Pokerspiel unterhalten, kommt die Bedienung. Wir bestellen noch zwei Biere und einen Tee. Freiburg schießt gerade das 0:1. Manchmal sei es problematisch, Leos und Lions auseinanderzuhalten, merke ich an. Beide kennen das Problem. »Wenn wir erklären wollen, wer wir sind, dann sagen wir schnell ›Wir sind die kleinen Lions‹«, erzählt Johanna. Der große Unterschied zu den Lions sei jedoch, dass jeder mitmachen könne. »Keiner muss wie bei den Lions erst gefragt werden!«, betont Bernadette.

Ich frage, ob man sie als Leos denn schon mal als elitär oder arrogant bezeichnet hätte. Beide verneinen. »Ich glaube, wenn man uns kennenlernt, sind die Vorbehalte schnell verflogen«, meint Johanna. »Wenn man mal an einem Club-Abend teilnimmt, würde es mich sehr wundern, wenn man seine Vorurteile bestätigt sieht«, ergänzt Bernadette.

Generell sei es wichtig, durch die Activities zu zeigen, wer man ist und was man tut. So ließen sich Vorurteile am besten aus dem Weg räumen. Ich frage, wie man denn jetzt genau die Leos kennenlernen könne. »Der schnellste Weg ist, einfach auf unsere Homepage zu gehen und uns eine Mail zu schreiben«, erklärt Johanna. Am besten sei es, wenn man kurz sagt, warum man mitmachen will und wie man von den Leos erfahren habe. Im nächsten Schritt folge dann eine Einladung zum nächsten Club-Abend, oder einer Activity. »Unsere Club-Abende finden immer am ersten Mittwoch im Monat statt«, sagt Johanna. Man müsse auch nicht zwangsläufig Mitglied werden, um sich einzubringen. Als Gast könne man jederzeit vorbeischauen.

Beton für die Rheinaue

Skatepark – Jugendkultur als Hochkultur? Die Initiatoren des Fundraising-Projekts »Beton für Bonn« träumen von einem Skatepark in der Rheinaue. Das Projekt soll die Jugend wieder vor die Tür bringen – ganz ohne Beethoven.

von Mirjam Schmidt

(Foto: © STEFAN NEUMANN FOTOGRAFIE)

(Foto: © STEFAN NEUMANN FOTOGRAFIE)

Zu jeder Stadt gehört ihre Jugend. Doch was, wenn diese die Stadt nicht mehr attraktiv findet? Zum Feiern geht’s nach Köln, zum Skaten nach Koblenz und zum Abhängen ins Ruhrgebiet.

Es stimmt schon, Bonn hat viel zu bieten: viele Museen, viele Theater, viel Oper, viel Kunst. Und natürlich viele aktive Bürger, die sich für das Kulturangebot in Ihrer Stadt einsetzen, wie die jüngste Initiative für ein Festspielhaus und das Viktoriakarree gezeigt haben. All dies ist sehr lobenswert.

Aber wo bleibt da die Jugend mit ihren Bedürfnissen? Werden diese noch durch die kulturellen Angebote der Stadt gedeckt? Was wünscht sich eigentlich diese Jugend? Die Initiatoren von »Beton für Bonn« sagen, sie wünscht sich ein Skatepark. Und diesmal bitte einen richtigen, aus Beton, damit all jene jungen Menschen, die auf ihren Rädern und Rollen durch die Stadt unterwegs sind, endlich ein festes Gelände haben. Die Nachfrage besteht, denn die Skaterszene, mit BMX-Rädern, Skateboards, Longboards und Inlinern, gehört schon länger zum Stadtbild. Nicht ganz so lang wie Beethoven oder die Bundesbehörden, doch lange genug, um einen eigenen Verein zu haben.

Der in den 80er Jahren gegründete Verein »Subculture Bonn e. V.« setzt sich in Bonn und Umgebung für »Rollsport« ein und verbindet dies mit sozialem Engagement. Federführend warb er 1992 für den Bau der ersten Rampe in der Rheinaue und 2012 für deren Wiedereröffnung.

Damals hatte die alte Rampe dem natürlichen Witterungs- und Abnutzungsverfall nicht mehr standhalten können – Einsturzgefahr. Für ihre Erneuerung sammelten die Mitglieder von Subculture Spenden und schafften es, mit sieben Benefizkonzerten regionaler Bands, T-Shirt- und Getränkeverkauf, Tombolas und einem Spendenaufruf 10.000 € einzunehmen. Bei so viel Einsatz zog damals die Stiftung Jugendhilfe der Sparkasse in Bonn mit und finanzierte den Rest der Kosten, immerhin 70.000 €. Verglichen mit einem Festspielhaus wirkt das wie ein Schnäppchen. Verglichen mit den Kosten für die neueste Initiative leider auch.

Nach der erfolgreichen Wiedergeburt steckt der Subculture Verein seit 2014 seinen Aktivismus in ein neues Fundraising-Projekt, »Beton für Bonn«. Was bei den meisten eher negative Assoziationen und Bilder von formlosen, hässlichen Gebäuden hervorruft, ist in diesem Fall ein durchdachter Entwurf eines betonierten Skateparks in den Rheinauen. Die 44 m  22 m große Fläche hat die Initiative schon von der Stadt gestellt bekommen, einen alten Sportplatz in der Rheinaue. Mit perfekten Startvoraussetzungen dank bereits versiegeltem Boden fehlen jetzt nur noch die 250.000 € Baukosten für die Elemente. Also legen die Mitglieder des Vereins mal wieder los mit dem, was sie in den letzten Jahren schon geübt haben: Kreativität und Aktivismus! So veranstalteten sie im Juli zum Beispiel eine Rolldemo, mit wirklich allem was rollen konnte – auch eine Rikscha war dabei. Doch bei einer solchen Summe braucht es neben Kreativität und Aktivismus leider auch Geldgeber, am besten einen Großsponsor. Und der konnte bisher noch nicht gefunden werden.

Zu der Zukunft Bonns gehört gerade seine Jugend. Wenn sich die Bonner also die Frage stellen, was förderungswürdige Kunst oder Projekte in einer Stadt sind oder welche Angebote sie besonders lebenswert machen, sollte eine Initiative mit so viel Enthusiasmus nicht vergessen werden. Besonders wenn Sie es nebenbei noch schafft, die Jugend wieder vor die Tür und von der Straße runter zu bringen.

Kauderwelsch: Kaffee und Küken

KOMMENTAR • von Florian Eßer

(Illustration: Florian Eßer / AKUT)

(Illustration: Florian Eßer / AKUT)

Man spiele »Stadt-Land-Fluss«, ersetze die Begriffe »Land« und »Fluss« durch »Kultur« und »Entwicklung« und stoppe beim Buchstaben »B«. B wie Bonn, B wie bedroht und B wie bergab. So, fertig. Trotzdem kriege ich jetzt nicht mehr Punkte als meine imaginären Mitspieler, da alle fünf zu denselben drei Lösungen gekommen sind. Klar. Die liegen ja auch nahe, wenn man sich die kulturelle Entwicklung Bonns (und jeder anderen Stadt) einmal genauer anschaut.

In einem Land vor unserer Zeit jedoch, als das Gras noch grüner und der Kaffee noch aromatischer war, konnten auch kleinere Buchhandlungen und Kaffeehäuser überleben. Ihre Umgebung wies genügend Ressourcen für ein Leben nebeneinander auf und die Welt war in Ordnung. Sicher, ab und an kam es auch dazu, dass ein kleiner Laden von einem Größeren gefressen wurde, aber unterm Strich blieb die ganze Sache im Gleichgewicht. Dann aber kam es zum kulturellen Kometeneinschlag und zum großen Sterben der Schwächeren. Für viele der kleinen Betriebe brach ab diesem Punkt nämlich die Eiszeit an. Hauptsächlich waren es Konsum-Kakerlaken wie Starbucks, Backwerk und Amazon, die überlebten, die Herdentiere der schnellen und unpersönlichen Abfertigung.

Quantität statt Qualität heißt es da, denn die pure Anzahl der Filialen reicht aus, um den alteingesessenen Platzhirschen das Geweih zu stutzen. Man stelle sich eine sterbende Heuschrecke vor, die von einer Legion von Ameisen nach und nach zerlegt wird. Die Natur kann grausam sein – der Einzelhandel ebenfalls.

Darunter leiden dann aber in erster Linie diejenigen Endverbraucher, die auf familiäre Atmosphäre und sonstige Gesellschafts-Esoterik Wert legen. Wer aber nach der ZDFneo-Perle »Hauptsache wach und Hackbraten« lebt, dem kann’s natürlich egal sein.

Ein Coffee-to-go für die Strecke zwischen Primark und dem Infostand von UNICEF, oder sich bei Mäcces zur fünften Todsünde hinreißen lassen – wer kennt das nicht? Ich möchte nicht den ersten Stein werfen, sondern lediglich feststellen, dass man die Zukunft der kulturellen Entwicklung nicht aus dem Kaffeesatz eines Backwerk-Cappuccinos zu lesen braucht, wenn man sich einfach mal umgucken und fragen würde: Was soll der Quatsch?

Bei aller Bequemlichkeit und den praktischen Aspekten des konsumorientierten Ketten-Karussells, muss ich mir eingestehen, dass aus leichtem Schwindel schnell wahre Übelkeit werden kann, falls sich das Ding im selben Tempo noch weiterdrehen sollte. Denn: Dein Vorname auf dem Kaffeebecher wird überflüssig, wenn dich die Leute im Café mit selbigem kennen und ansprechen. Ein nettes Gespräch mit der gegenderten Buchhändler_In macht mehr Spaß als ein rascher Mausklick und individuelle Geschäfte verschönern das Stadtbild mehr, als die x-te Neonreklame irgendeines kulturlosen Retorten-Klons.

Man kommt ohnehin nicht drumherum, kriminelle Großkonzerne zu unterstützen, sei es, weil man Fußballfan ist, oder Coca-Cola super schmeckt. Allerdings kann man darauf achten, dass vom Aussterben bedrohte Kleinhändler nicht gänzlich aus dem Stadtbild getilgt werden. Das tilgt wiederum nicht die Mitarbeiterausbeutung und die großflächige Verkleisterung mit Billigprodukten von unserem Planeten, aber unterstützt die regionale Wirtschaft und die kulturelle Vielfalt in unserer direkten persönlichen Umgebung.

Schön wär’s, aber vielleicht ist es auch eine utopische Vorstellung, denn die Realität sieht schließlich anders aus: Mehr, mehr, mehr und das am besten in solch einem Tempo, dass die Küken schon frittiert aus dem Schredder purzeln, oder im Idealfall bereits zu Nuggets verarbeitet aus den Eiern schlüpfen, die ihre mit Antibiotikum verseuchte Hühnermama in den Käfig gepupst hat.