Fairkehrte Welt

Foodsharing – Ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel landet im Abfall – unabhängig davon, ob sie noch genießbar sind oder nicht. Die Aktivisten von »Foodsharing« wehren sich gegen diese Verschwendung.

von Maike Walbroel

(Foto: Maike Walbroel / AKUT)

(Foto: Maike Walbroel / AKUT)

So leer ist der Fair-Teiler in der Ermekeilkaserne sonst nicht. Im Regal liegen nur einige Äpfel und im Kühlschrank herrscht ebenso gähnende Leere. Stephan Tamme ist – trotz oder gerade wegen der Leere?! – sehr zufrieden: »Anfangs hatten wir Sorge, ob der Fair-Teiler hier angenommen wird. Aber inzwischen ist die Nachfrage unter anderem auf Facebook sehr groß«, sagt er und erzählt von einer ganzen Autoladung Zucchini, die er gerettet und danach zum Mitnehmen in die Regale gelegt hatte. »Das ging wahnsinnig schnell. Am gleichen Tag waren alle weg!«

Fair-Teiler, Foodsharer, Foodsaver – diesen Begriffen begegnet, wer sich über Lebensmittelrettung informiert. Foodsharing gibt es seit 2012. Ziel der Initiative ist es, die globale Lebensmittelverschwendung zu stoppen, das heißt, Essen vor der Tonne zu bewahren und stattdessen zu verteilen. Das Abholen übernehmen die sogenannten Foodsaver, das sind Ehrenamtliche jeden Alters – unter ihnen auch viele Studierende. Sie sprechen Betriebe an und bemühen sich um Kooperationen. Dabei gehen sie nicht nur zum großen Supermarkt, sondern auch zu kleineren Unternehmen wie zu Bäckereien, Cafés oder zu Imbissen. Wer genau die Betriebe sind, das verrät foodsharing nicht.

Die Lebensmittelretter nehmen übrigens alles mit. »Wir verpflichten uns, alles anzunehmen, was der Betrieb uns gibt. Aber leicht Verderbliches wie Fleisch oder Fisch entsorgen wir notfalls«, so Tamme. Für die Betriebe ist eine Zusammenarbeit mit foodsharing aus mehreren Gründen attraktiv. »Die Unternehmen betreiben Image-Pflege, da sie keine Lebensmittel entsorgen, sondern sie weitergeben. Außerdem sparen sie Müllkosten«, erklärt Tamme, »denn Supermärkte zum Beispiel zahlen pro Kilogramm Gewicht einen bestimmten Preis und wir nehmen ihnen den Müll ab.«

Was dann mit dem geretteten Essen passiert, halten die Richtlinien von foodsharing fest. Anders als man vermuten könnte, werden die Lebensmittel nicht etwa nur Bedürftigen gespendet. Jeder Foodsaver entscheidet selbst, was er mit seiner Abholung tut – er kann sie für sich selbst mitnehmen, Essen an Freunde, Bekannte, Nachbarn oder Kollegen verschenken. Oder er bringt es in einen sogenannten »Fair-Teiler«.

Das können einfache Kisten vor Wohnhäusern sein oder eben ganze Räume wie in der Ermekeilstraße auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne. Den Fair-Teiler dort gibt es erst seit September 2015. »Noch ist das hier der einzige Fair-Teiler in Bonn mit einem Kühlschrank«, berichtet Tamme. Andere foodsharing-Orte in Bonn findet man zum Beispiel im Bistro Rosarot und im Café Fuchsbau in Beuel oder im LIMES-Institut. Wegen des Kühlschranks können in der Ermekeilstraße natürlich auch Salate oder andere Kühlwaren geteilt werden.

Ein über die Plattform
foodsharing.de organisiertes Team schaut alle zwei Tage im Fair-Teiler nach dem Rechten. Ganz ausschließen, dass doch etwas verdirbt oder schimmelt, können sie allerdings nicht. »Wir putzen hier regelmäßig und sortieren gegebenenfalls Lebensmittel aus«, betont Tamme, »aber wir vertrauen auch darauf, dass man sich anschaut, was man mitnimmt und essen möchte.«

Jeder, der den Fair-Teiler besucht, kann sich nicht nur etwas nehmen, sondern auch selbst Lebensmittel mitbringen, die noch genießbar sind, aber sonst entsorgt würden – z.B., wenn etwas nicht schmeckt oder eine Packung zu groß ist.

Auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne befindet sich der Fair-Teiler in einer denkbar günstigen Umgebung: Die Ermekeil-Initiative bewirbt das Gelände als »Quartier mit integrativem Nutzungskonzept« – es gibt urban gardening, ein Repair-Café, Co-Housing, ein alternatives Wohn-Projekt, sowie gemeinsame Kochabende. Auch an die circa 300 Flüchtlinge, die seit August diesen Jahres in der Ermekeilkaserne leben, hat foodsharing Bonn gedacht: »Wir haben kleine Piktogramme gemalt – z.B. mit Bildern und Beschriftungen für Fisch, Schweinefleisch oder vegane Lebensmittel. So versuchen wir, allen gerecht zu werden.«

Aber ist foodsharing wirklich nötig? Wird tatsächlich noch so viel Essen weggeworfen? Es wird. Ungefähr jedes achte Lebensmittel wird entsorgt – das sind allein in Deutschland 11 Millionen Tonnen jährlich. Zudem nehmen Foodsharer gemeinnützigen Vereinen wie den Tafeln nichts weg, wenn sie ihre Lebensmittel-Abholungen machen: »Die Tafeln sind rechtlich dazu verpflichtet, nur Essen anzunehmen, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen ist«, erklärt Tamme, »wir von foodsharing hingegen dürfen auch abgelaufene Lebensmittel annehmen. Daher sehen wir uns nicht als Konkurrenten zu den Tafeln, sondern als Ergänzung«.

Selbst aktiv werden und Lebensmittel vor dem Wegwerfen retten kann übrigens jeder: Wer keinen Fair-Teiler in der Nähe hat (die genauen Standorte findet ihr im Internet), der kann sich auf foodsharing.de registrieren und einen Essenskorb zur Abholung anbieten oder sehen, wo es in der Nachbarschaft andere Körbe gibt. Vom Foodsharer zum Foodsaver wird man übrigens, indem man sich mit den Verhaltensregeln und Richtlinien von foodsharing auf deren Homepage vertraut macht und das kleine Quiz dazu besteht. Dann kann man an Treffen mit anderen Foodsavern teilnehmen – zum Beispiel mit den ungefähr 200 Aktiven in Bonn – und später auch eigene Abholungen organisieren.

Für Stephan Tamme ist foodsharing viel mehr als nur Essen retten: »Ich habe viele tolle Leute aus allen möglichen Schichten und in den verschiedensten Lebenssituationen kennengelernt. Jeder kann mitmachen.«

Schuld an der Lebensmittelverschwendung seien übrigens nicht nur die Konzerne, sondern auch die Verbraucher. »Der Kunde erwartet, dass sein Brot auch noch um 19 Uhr frisch gebacken wird«, so Tamme, »wen wundert es da, wenn Supermärkte Brot, Obst oder Gemüse wegwerfen, das noch genießbar ist, wenn sie den Platz für frischer aussehende Waren brauchen?« Für die Zukunft wünscht sich Stephan Tamme, dass foodsharing überflüssig wird, weil die Lebensmittelverschwendung aufhört. Vielleicht ist der leere Fair-Teiler an diesem Tag schon ein gutes Zeichen.

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