Dicke Luft im und ums Studentenwohnheim
Das Wohnheim „Pariser Straße“ in Auerberg ist PCB-verseucht. Studierende setzen sich für ihre Rechte als Mieter ein und fordern Dialog — doch das Studentenwerk blockt. Zunächst müsse man sich einen Überblick verschaffen.
Nach einem anstrengenden Tag in der Uni und anschließender Redaktionssitzung der akut betritt Sven Zemanek das große, graue Gebäude. Ein stechender Schimmelgeruch liegt in der Luft; die Fensterrahmen sind abgeklebt — nur noch vernagelte Bretter fehlen, um das schaurige Bild zu vollenden. Er schleppt sich die Treppen hoch, den Flur entlang — auch dort hält der modrige Geruch an. An der Tür hängt ein Zettel von der Hausverwaltung: „Es wird empfohlen, 15 Minuten vor Raumnutzung zu lüften.“ Kaum in seinem 17 m² großen Studentenzimmer angekommen, reißt er das Fenster weit auf. Sven ist gereizt, er zeigt auf eine dicke Mappe. Darin dokumentiert er die Korrespondenz mit dem Studentenwerk. Schon seit Monaten hat er mit denen zu tun. Als einer der Sprecher seines Wohnheims hatte er das Studentenwerk in der Vergangenheit mehrmals angeschrieben, oft kamen keine Antworten auf seine Fragen. Dass sich viele der Bewohner dieselben Fragen stellen, wurde auf der Infoveranstaltung des Studentenwerks im September klar. Was geschieht nun? Wieso wurde eigentlich nicht früher geprüft, ob in einem Gebäude aus den 70ern eine PCB-Belastung vorliegt? Wird das Wohnheim geräumt?
Alois Saß versucht, Antworten auf die Fragen zu finden. Seit dem Wintersemester 2009 / 2010 engagiert er sich für die Juso-HSG in der Hochschulpolitik. Auch er wohnt in der Pariser Straße und setzt sich zwischen Vorlesung, Tutorium, Vorbereitung auf das Staatsexamen und Sitzungen des Studierendenparlaments für die Rechte der Hausbewohner ein. Unterschriftensammlung, Schriftverkehr, Gespräche mit Bewohnern und dem Studentenwerk — alles dreht sich um die PCB-Thematik. Dabei steht eines für ihn fest. „Wir ärgern uns weniger über die PCB-Werte als über den Umgang des Studentenwerks mit diesem Problem.“ Von einer Anstalt des öffentlichen Rechts hätte er mehr Transparenz erwartet. „Was das Studentenwerk absolut vermissen lässt, sind weitere Informationen.“
Sicherlich stellt die PCB-Problematik eine große Herausforderung für das Studentenwerk dar, zu deren Aufgaben die Verwaltung der Studienfinanzierung, ein gastronomisches Angebot und eine studentische Jobbörse gehören. So scheint eine interne Überbelastung durchaus nachvollziehbar, schließlich gilt es, Messungen durchzuführen, Experten zu befragen, Kosten zu berechnen und weiteres Vorgehen zu planen. Wahrscheinlich bleibt da einfach keine Zeit, die hartnäckigen Anfragen von Sven und Alois zu beantworten. Auch wenn die beiden sich daher zuweilen allein gelassen fühlen, so finden sie zumindest auf Seiten der Studierenden einige Mitstreiter. Schließlich sind von der Situation in der Pariser Straße 300 weitere Studierende betroffen, die sich unterschiedlich stark über die Schadstoffe in ihrem Wohnraum sorgen.
Vor seinem Einzug wurde einem Bewohner von einem Kommilitonen geraten, nicht in die Wohnheime Tannenbusch oder Auerberg zu ziehen, ansonsten seien alle okay. Heute weiß er auch, wie das gemeint war. „Man hat einfach den Eindruck, dass kaum noch etwas im Gebäude gemacht wird. Das bezieht sich nicht nur auf die PCB-Thematik. Die Möbel sind alle noch aus den 70ern, vermutlich noch die Erstausstattung!“ Ein anderer Bewohner des Hauses ergänzt: „Ich komme mir fast vor wie im Gefängnis. Aber selbst da gibt es bestimmt eine bessere Ausstattung als hier.“ Sie empfehlen allen Studierenden, „direkt beim Einzug in einen Plattenbau zu fragen, ob ein Schadstoffbefund vorliegt — wenn nicht: prüfen lassen!“
In der Tat besteht in der Pariser Straße keine akute Gesundheitsgefahr, soviel Entwarnung sei gegeben. Die Messwerte befinden sich im Bereich zwischen 180 — 1000ng/m³, Handlungsbedarf besteht nur langfristig. Derweil scheint die Situation vorwiegend eine Probe für das Studentenwerk hinsichtlich Problemlösestrategien zu sein. Es gibt viel zu tun: Entwarnung geben, Sanierung planen, Miete senken?
Als angehender Jurist stöbert Alois in seinen Gesetzesbüchern und spekuliert über sein Mietminderungsrecht, eine klare gesetzliche Vorgabe existiert nicht. Besonders problematisch war die Diskussion um den Mieterlass. Alois kritisiert: „Bei der Berechnung der 5 % hat das Studentenwerk jegliche Kompromissbereitschaft in den Gesprächen mit den Vertretern der Hausbewohnern vermissen lassen.“ Die Studierenden forderten 10 % weniger Miete, reduzierten diese Forderung dann auf 7 %. Unmöglich für das Studentenwerk, das lediglich 5 % gewähren konnte, gewähren wollte. Doch Obacht — dieses Angebot erwies sich als begrenzt und galt nur für kurze Zeit. Lediglich diejenigen, die es innerhalb weniger Tage schafften, einen Antrag auszufüllen und ihn während der eher eingeschränkten Öffnungszeiten des Studentenwerks abzugeben, kommen nun in den Genuss, 5 % ihrer Miete zu sparen. 12,50 Euro. Davon können sie sich dann am Ende des Monats einen Drink gönnen und auf ihren geringen Triumph anstoßen. Ein höherer Mieterlass sei laut Studentenwerk insofern nicht sinnvoll gewesen, als dass dann die Mittel verloren gingen, die zur Behebung des Problems vorgesehen seien. „Wir sind kein gewinnorientiertes Unternehmen, aber wir müssen durchaus betriebswirtschaftlich arbeiten“, sagt Robert Anders, Verantwortlicher für Presse und Marketing des Studentenwerks. Seit Oktober setzt er sich in seiner neuen Position mit der PCB-Thematik auseinander und plädiert für ein sachliches Verfahren mit der Angelegenheit. Inwiefern das für unmittelbar Betroffene möglich ist, sei dahingestellt.
„Das Verhalten des Studentenwerks ist so nicht angemessen. Regelmäßiges Raumlüften zu empfehlen, statt tatsächlich zu handeln, ist ein Witz“, findet Mirco Theiner, Geschäftsführer des deutschen Mieterbunds in Bonn. Als Student hat auch er im Wohnheim Pariser Straße in Auerberg gewohnt. Mittlerweile vertritt er über 22.000 Haushalte in der Region Bonn, Rhein-Sieg und Ahr. Der Grundsatz ist dabei simpel. „Für eine hundertprozentige Miete muss auch eine hundertprozentige Leistung erfolgen“. In der Pariser Straße ist der Schaden jedoch nicht genau zu bestimmen, zusätzliche Messungen versprechen nicht unbedingt neuen Erkenntniszugewinn — und kosten Geld. Da die Belastung aber den Hauptnutzraum betrifft, sind die Bewohner den Schadstoffen ständig ausgesetzt. „Ein Mietminderungsangebot ist vonseiten des Vermieters zugleich ein Eingeständnis, dass es einen mietrechtlichen Mangel gibt“, so Theiner. Er hält in diesem Fall einen Mieterlass von 10 bis 15 % für angebracht — und nicht 5 %. Auch die Verfahrensweise des Studentenwerks mit diesem Problem hält er für unangebracht. Er appelliert an die Verwaltung, sich mit den Studierenden zusammenzusetzen, ihre Sorgen ernst zu nehmen und mit ihnen ernsthaft zu verhandeln.
Robert Anders hingegen zieht einigermaßen positive Bilanz und betont den Einsatz der studentischen Verwaltung. „Wir haben – ich möchte sagen, vorbildlich – begonnen, auch in anderen Liegenschaften auf Schadstoffe zu prüfen. Wir kümmern uns. Wenn das ankommt, bin ich zufrieden. Wir sitzen ja durchaus nicht versteckt in der Ecke und hoffen, dass uns keiner Fragen stellt.“ Das beschriebene Verfahren bezüglich des Angebots auf Mietminderung zeugt jedoch von einer weniger kommunikativen Vorgehensweise. Doch Anders gibt sich einsichtig und räumt allgemeine Schwierigkeiten der Kommunikation ein. „Auf manche Mails haben wir nicht sofort reagiert. Das tut uns leid.“ Er lobt das Engagement der Studierenden und schätzt den Einsatz von Sven und Alois. Es wirkt beinah liebevoll, wenn er erklärt, dass Herr Zemanek ihm „ständig im Nacken“ hänge.
Welche Bilanz lässt sich also aus diesem Boxkampf um Nanogrammwerte und Mietminderungsprozente ziehen? Die Studierenden zeigen sich ausdauernd, werden nicht müde, für ihre Rechte einzutreten und Dialog zu fordern – Offensivität ist hier das Schlagwort. Ein Aspekt, mit dem sich auch das Studentenwerk allmählich mehr befassen sollte. Dieses zeigt sich bisher – in völliger Selbstzufriedenheit – nämlich eher in der Defensive. Es sagt stets, man müsse sich zunächst einen Überblick über die Gesamtsituation verschaffen. Für die Bewohner der Pariser Straße dürfte dieser Überblick bereits bestehen: Sie wohnen in einem Wohnheim, das schadstoffbelastet ist und daher zur persönlichen Belastung wird. Wann endlich mit einer Sanierung begonnen wird, möchte das Studentenwerk noch nicht absehen können. „Das hängt davon ab, ob dieser Fall von einer anderen Liegenschaft in Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit übertroffen wird“, sagt Anders. Für die Bewohner des Wohnheims bleibt zu hoffen, dass sie vorerst der Worst Case in den Akten des Studentenwerks bleiben. Bei allen offenen Fragen rund um das belastende Problem, steht für Sven zumindest eines fest: Er muss weiterhin lüften.
PCB – das belastet
PCB ist die Kurzform für polychlorierte Biphenyle. Bis zum Verwendungsverbot 1989 wurde PCB in Deutschland beispielsweise in Dichtungsmassen oder als Imprägnier- und Falmmschutzmittel verwendet, daher findet es sich in vielen Gebäuden dieser Zeit. Bei der Einstufung der PCB-Werte gemäß der PCB-Richtlinie wird ein Dreischritt verfolgt. Werte unterhalb von 300 ng/m³ gelten als „langfristig tolerabel“. In einem Konzentrationsbereich zwischen 300 und 3.000 ng/m³ ist langfristig Handlungsbedarf gefragt. Die PCB-Quelle muss aufgespürt und „unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit“ beseitigt werden. Wird der Interventionswert von 3.000 ng/m³ überschritten, gilt akute Gesundheitsgefahr und Sofortmaßnahmen müssen ergriffen werden — inklusive Räumung des betroffenen Gebäudes.
Nachdem im Juli 2012 belastetes Material in den Außenfugen gefunden worden ist, führte das Studentenwerk im August in sechs Appartements Messungen durch. Im September konnten erstmals Ergebnisse bekannt gegeben werden: Werte zwischen 230 — 1.300 ng/m³. Weitere Messungen ergeben einen Wertebereich von 180 bis 1.000 ng/m³. Innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre sollen die PCB-Quellen baulich beseitigt werden. Vorab dienen Sofortmaßnahmen der Konzentrationsminderung. So sind die Fensterfugen mit Aluklebeband verdichtet worden, zu regelmäßigem Lüften wird aufgefordert.