Gericht kassiert Anwesenheitspflicht
In einem Gerichtsverfahren um die Anwesenheitspflicht hat die Uni Bonn eine herbe Niederlage erlitten. Nun sind alle enttäuscht: Uni, AStA — und sogar der vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Köln.
Andreas Becker, Vorsitzender der sechsten Kammer des Verwaltungsgerichts Köln, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Gerade hat er sich hinter das Richterpult gesetzt, als er die Studenten im Zuschauerraum bemerkt: „Ich hoffe, dass Sie im Moment keine anwesenheitspflichtige Übung verpassen.“ Und zu Roman Konertz gewandt sagt er: „Dass Sie der Anwesenheitspflicht nicht genüge getan haben, ist jedenfalls unstreitig. Sonst säßen wir hier nicht.“
Dieser 22. Juni könnte im Verwaltungsgericht Köln zu einem besonderen Tag werden für die deutsche Hochschullandschaft — doch er wird es nicht. Und verantwortlich dafür ist die Uni Bonn.
Ein Bonner Student klagt gegen seine Universität, oder besser: gegen die dortige Anwesenheitspflicht. Roman Konertz (25) studiert Informatik im achten Semester an der Uni Bonn und Jura an der Fernuni Hagen. In zweien seiner Informatik-Übungen hat er die vorgeschriebenen Übungszettel nicht abgegeben beziehungsweise mehrfach unentschuldigt gefehlt. Deshalb wurde er nicht zur Prüfung zugelassen — und dagegen wehrt er sich nun vor Gericht. Was zunächst nach einem Einzelfall klingt, hat größere Dimensionen. Denn sollte das Verwaltungsgericht entscheiden, dass die Anwesenheitspflicht in Übungen als solche grundgesetzwidrig ist, schüfe es einen Präzedenzfall, der wohl für zahlreiche weitere Klagen gegen die Anwesenheitspflicht Modell stände.
Auch der Vorsitzende Becker zeigt sich beeindruckt von diesem Fall, von dem er zugibt, dass ihm seine Bedeutung „erst im Zuge der Vorbereitung in ihrer ganzen Dimension klar geworden ist“. So geht er zunächst zum Ausgangspunkt der ganzen Geschichte, der Prüfungsordnung des Informatik-Bachelors an der Uni Bonn (BaPO). Deren Paragraf 11 Absatz 6 besagt nach Auffassung des Gerichts, dass die Einführung einer Anwesenheitspflicht unter vier Bedingungen möglich ist: Es muss der Antrag eines Lehrenden auf Einführung der Anwesenheitspflicht vorliegen. Der Prüfungsausschuss muss im Einzelfall darüber entscheiden. Der Beschluss des Ausschusses muss hinreichend begründet werden. Und schließlich ist dieser Beschluss bekannt zu machen.
Die Frage nach der generellen Zulässigkeit einer Anwesenheitspflicht ist dabei die wohl interessanteste. Doch spielt sie erst dann eine Rolle, wenn die genannten formalen Kriterien alle erfüllt sind. Da sich die Uni Bonn diese Kriterien in ihrer Prüfungsordnung selbst auferlegt hat, sollte das eigentlich das geringste Problem sein — ist es aber nicht.
Um es kurz zu machen: In beiden Verfahren hat sich die Uni nicht an ihre eigenen Regeln gehalten. Im ersten Fall fehlt der Beschluss des Prüfungsausschusses, die Parteien einigen sich vor Gericht darauf, dass Roman die Prüfung bei nächster Gelegenheit ablegen darf. Becker gibt ebenfalls seinen Segen, jedoch nicht ohne darauf hinzuweisen: „Ich mag nicht den Teufel an die Wand malen, was rechtlich passiert, wenn Sie da jetzt durchrasseln. Also tun Sie uns doch bitte den Gefallen — und bestehen Sie!“
Im zweiten Fall liegt zwar der Beschluss des Prüfungsausschusses vor. Da dieser jedoch ohne Begründung erst einige Wochen nach Semesterbeginn getroffen wurde, knickt auch hier die Uni ein. Warum, erklärt Becker in einfachen Worten: „Die Spielregeln müssen klar sein, bevor das Spiel los geht.“
Zur großen hochschulrechtlichen Entscheidung kommt es an diesem Tag vor dem Verwaltungsgericht also nicht. Zwar hat auch Becker durchaus Interessesse an einer grundsätzlichen Entscheidung: „Eine Klärung durch das Verwaltungsgericht Köln ist zwar wichtig, aber noch wichtiger ist, dass man es eventuell auch eine Instanz weiter tragen kann.“ Doch das gehe eben nicht mit den Formfehlern: „Es muss ein makelloser Fall sein.“
Einen solchen makellosen Fall zu schaffen, daran hat Roman durchaus Interesse. Hatte er in den beiden verhandelten Klagen zunächst noch versucht, die Sache ohne Gericht mit der Uni zu klären, geht es ihm nun ums Prinzip: „Allerdings dauert es jetzt noch mindestens bis März 2014, bis der erste wasserdichte Fall theoretisch verhandelbar ist.“ Denn dieses Sommersemester besteht in den Übungen der Informatik keine Anwesenheitspflicht, darüber wurden die betroffenen Studierenden bereits informiert. Und ob der Prüfungsausschuss es schafft, zum kommenden Wintersemester eine prüfungsordnungskonforme Anwesenheitspflicht zu beschließen — „das bleibt zunächst abzuwarten“, sagt Roman.