AStA-Geschäftsführer Jan Baumeister über fliegende Bierdosen und den hochschulpolitischen Kampf im Zeitraffer
Jan Baumeister gehörte 1980 zu den MitbegründerInnen der links-unabhängigen Liste undogmatischer Studentinnen und Studenten (LUST), für die er viele Jahre im Bonner Studierendenparlament saß.
Hallo Jan, erzähl doch erst einmal etwas von deinem hochschulpolitischen Werdegang!
Nun, ich bin sicher einer derer, die am häufigsten für ein Studierendenparlament kandidiert und am längsten darin gesessen haben. Das erste Mal kandidiert habe ich im Januar ’81 und dann fünfundzwanzig Jahre später zum letzten Mal 2006. Die Zeit dazwischen durchgehend. Witzigerweise bin ich zum ersten Mal im Januar 2000 direkt reingewählt worden. Immerhin vierzehn Jahre nachdem ich mein Studium eigentlich abgebrochen hatte und nur noch pro forma eingeschrieben war. Davor die Male bin ich oft nachgerutscht. Angefangen mit der Hochschulpolitik habe ich, weil ich mich an der Uni politisch engagieren wollte. Das hatte ich früher schon in anderen Zusammenhängen getan und 1979 sogar für den Stadtrat in Bonn kandidiert. So habe ich schon diverse Erfahrungen mitbringen können. Der Gründungsaufruf der LUST, von der ich quasi Gründungsmitglied war, wurde darüber hinaus von einem alten Klassenkameraden unterschrieben und da dachte ich mir: Schau doch da mal rein…obwohl mein besagter Klassenkamerad dann aufgehört hat und ich dabei geblieben bin…
Was hat sich deiner Meinung nach hinsichtlich der Bonner Hochschulpolitik am meisten verändert?
Eine der größten Veränderungen in meinen Augen ist die Intensität der politischen Auseinandersetzungen, die sehr stark abgenommen hat. Überhaupt vermisse ich das Engagement der Studierenden. Früher gab es eine viel höhere Anzahl aktiver Studis und gekämpft wurde auch mehr. Besonders zwischen links und rechts. Da fielen die Wahlen immer sehr knapp aus, was keine der beiden Seiten gefreut hat.
Apropos Wahl. Die Wahlbeteiligung war früher erheblich höher und ist extrem zurück gegangen. 1980 lag sie noch knapp unter 50 Prozent und ist dann komplett zusammengebrochen. 1990 waren es schon nur noch 20 Prozent und gegenwärtig beläuft sie sich auf gerade mal 15 Prozent…
Wie haben sich dieser angesprochene Kampf und das Engagement in den Sitzungen gezeigt?
Dort ging es teilweise wirklich turbulent zur Sache. Man versuchte mitunter, vor allem wenn die Verhältnisse sehr knapp waren, Entscheidungen des SP durch eine kreative Ausnutzung der Geschäftsordnung zu verschieben und zu verzögern: Endlose Anträge wurden gestellt und man versuchte die Sitzungen durch Zwischenrufe und Tumulte zu stören.
Dann wurden schon mal Bierdosen und Tüten voller Erdnüsse durch die Gegend geworfen. Zwar nicht regelmäßig, aber es kam schon vor.
Es gab aber auch mehr inhaltliche Auseinandersetzung. Es war halt einfach ein Bewusstsein dafür da, dass es nicht um Pillepalle im Studentenparlament ging, sondern die ganze Sache in einem größeren Zusammenhang stand, gesellschaftlich und politisch. Es wird an vielen gesellschaftlichen Orten darum gekämpft, wo es langgehen soll, auf der Straße, im Betrieb, in Schulen und Universitäten. Das SP ist einer dieser Orte. Das war den Beteiligten bewusst und das brachte Pfeffer in die Debatte.
Ist dir eine dieser Sitzungen besonders im Gedächtnis geblieben?
Eine besondere Sitzung war auf jeden Fall die, in der ich zum Chefredakteur der akut gewählt wurde. Das war 1983. Wir waren bereits im 14. Wahlgang, da bis dahin keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit erzielen konnte. Und die brauchte man, um Chefredakteur zu werden. Kurioserweise mussten dann zunächst zwei linke Kandidaten gegeneinander antreten. Die Linken waren sich nämlich untereinander uneinig und von daher musste erst geklärt werden, wer der linke Wahlkandidat wird. Aber selbst diese Abstimmung endete erst einmal Unentschieden. Dann hatte ich irgendwann die Nase vorn, aber das reichte noch nicht, weil die Linken damals keine Mehrheit hatten. Im 14. Wahlgang hatte ich dann überraschenderweise meine 26. Stimme und somit die Mehrheit. Die Linken haben hinterher getuschelt, dass mir ein Abgeordneter einer bürgerlichen Fraktion, der wohl schon recht gut angetrunken war, seine Stimme gegeben hatte, weil er scheinbar die Wählerei satt hatte. Die Rechten haben den Linken jedoch anschließend vorgeworfen die Wahl gefälscht zu haben. Das führte dann zu wüsten Äußerungen. Einer hat mich als „Anarcho-Bolschewist“ bezeichnet. Das ist eine wunderbare Erfindung und seitdem auch meine Lieblingsbezeichnung für mich selbst! Meine Wahl hatte Folgen: Zwei Tage später warfen die bürgerlichen Gruppen ihren Koalitionspartner „Frust“ aus dem AStA, weil man denen vorwarf, mich mitgewählt zu haben. Sechs Wochen später half „Frust“ den Linken, den bürgerlichen AStA per Misstrauensvotum zu stürzen, und für den RCDS dauerte es 26 Jahre, bis er in Bonn wieder in den AStA kam!
Was würdest du dir für die Zukunft der Bonner Hochschulpolitik wünschen?
Generell würde ich mir wünschen, dass die Studierenden wieder engagierter sind und bewusster wahrnehmen, was hier an der Universität um sie herum geschieht. Es mag verschiedene Gründe geben, warum das nicht mehr so der Fall ist wie früher. Zum einen ist die Perspektive, die Gesellschaft in eine mehr oder weniger sozialistische Richtung zu verändern, für viele Menschen gar nicht mehr vorhanden. Zum anderen spielt der wachsende Druck an der Uni und auf dem Arbeitsmarkt wohl eine große Rolle. Um den Anforderungen gerecht zu werden, stellen viele Studis ihre Aktivitäten außerhalb der Uni ein und haben auch gar keine Zeit und Motivation mehr, sich andernorts noch politisch einzusetzen.
Die Neuorganisation der Studiengänge in den letzten Jahren, also die Einführung des Bachelor-Master-Systems, hat dann ihr Übriges getan.
Wie lässt sich ein verstärktes politisches Bewusstsein der Studierenden wieder herstellen?
Dass es mit dem politischen Engagement unter Studierenden wieder bergauf geht, kann man nicht anzetteln wie eine Schlägerei unter Betrunkenen. Daher ist es notwendig erst einmal fundamentale Informationen unter den Studenten zu verbreiten… die meisten haben gar keine Ahnung mehr, was überhaupt die verfasste Studentenschaft ist – das SP, der AStA und selbst Fachschaften sind für viele gar kein Begriff mehr. Obwohl man wenigstens die kennen sollte. Die sitzen immerhin in den Instituten.
Ich persönlich weiß nicht, ob sich der Trend abwenden lässt oder ob es zu einem Einschlafen kommt. Wünschen würde ich mir perönlich allerdings eine Wiederbelebung.
Was wäre für eine solche Wiederbelebung notwendig?
Wahrscheinlich wäre es notwendig, dass ein Interessenkampf stattfindet, bei dem eine breite Masse der Studierendenschaft gewillt ist, selber auf die Straßen zu gehen. Etwa wie vor einiger Zeit die Debatte um die Studiengebühren, die viele Leute von der Couch geholt hat.
Man sollte sich sagen: Das ist meine Meinung, das sind meine Interessen und dafür gehe ich raus auf die Straße und stehe dafür ein. Dass da früher mehr gekämpft wurde lag auch daran, dass dort mehr Publikum war. Auch die nicht direkt aktiven Studenten und Studentinnen haben noch wenigstens Interesse gezeigt und sind manchmal auch zu den Sitzungen erschienen. Das motiviert natürlich das Studierendenparlament und den AStA, wenn man sieht, dass sich die Studierenden auch dafür interessieren, was man da macht. Es wäre schön, wenn einem vermittelt werden würde, dass das was man tut auch akzeptiert wird und auf fruchtbaren Boden fällt. Das wären meine Wünsche für die Zukunft der Bonner Hochschulpolitik.
Bleibt zu hoffen! Dir erst einmal Danke für die ausführliche Auskunft!