Zwei Zimmer, Küche, Opa

„Wohnen für Hilfe“ denkt die WG neu

Das Leben in einer Wohngemeinschaft ist bunt, aufregend und nie langweilig. Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Vorlieben und Macken leben unter einem Dach. Da ist immer was los, man lernt viel voneinander – oder auch nicht. Allein ist man jedenfalls nie – und genau das macht die Vorstellung des WG-Lebens für ältere Menschen so attraktiv.

Wohnraum ist knapp – das ist nicht neu. Wohnheime führen ewig lange Wartelisten, Vermieter laden zu Massenbesichtigungen und Studenten-WGs zu skurrilen Castings ein. Zelten vor der Uni, Couchsurfing, Nächtigen im Hotel – Wohnungssuchende werden wissen, dass diese Ideen gar nicht mehr so abwegig sind, so groß scheint die Not auf dem umkämpften Wohnungsmarkt. Umso mehr gewinnen alternative Wohnformen an Bedeutung, so auch das Projekt „Wohnen für Hilfe“.

Nach Angaben der Bonner Stadtverwaltung lebten 2007 etwa 22.000 Senioren teils allein in großen Wohnungen oder Häusern. Viele von ihnen plagt die Einsamkeit, ängstigt die Stille. Sie wünschen sich Gesellschaft und Unterstützung. Genau an dieser Stelle setzt das Projekt „Wohnen für Hilfe“ an. Die Idee scheint simpel: Senioren, Familien, Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung, die einen eigenen Haushalt führen und sich Gesellschaft, Unterstützung und Sicherheit durch Studierende wünschen, stellen Wohnraum zur Verfügung. Im Gegenzug unterstützen die Studierenden den Wohnraumanbieter bei der Verrichtung alltäglicher Aufgaben. Dabei gilt: Pro Quadratmeter überlassenen Wohnraum wird eine Stunde Hilfe monatlich geleistet, Pflegeleistungen ausgeschlossen. Miete wird nicht gezahlt, lediglich die Nebenkosten müssen selbst übernommen werden. Zu den Aufgaben, die individuell im Rahmen eines Wohnraumüberlassungsvertrags fixiert werden, können Aktivitäten wie Einkaufen, Kochen, Putzen, Gartenarbeit und handwerkliche Tätigkeiten zählen. Eine generationsübergreifende Win-Win-Situation?

Vielleicht bald dein Mit­bewohner? Ein Opa. Bild: sxc.hu /Kirk­Mcgirt

Vielleicht bald dein Mit­bewohner?
Bild: sxc.hu /Kirk­Mcgirt

Das sieht zumindest Monika so. Sie ist 61 Jahre alt und derzeit auf der Suche nach einer neuen Mitbewohnerin. „Für mich stellt diese Wohnform eine Bereicherung dar. Ich wohne dann nicht mehr alleine und habe einen netten jungen Menschen im Haus.“ Nachdem sie ein halbes Jahr mit einer Studentin in ihrer Wohnung in Bonn zusammengelebt hat, ist diese kürzlich ortswechselbedingt aus der WG ausgezogen. „Ich hatte großes Glück mit ihr als Mitbewohnerin. Die Beziehung dauert auch noch an, sie kommt mich diese Woche besuchen.“ Nachteile an dieser Wohnform sieht Monika keine. „Ich muss mich allerdings absolut auf meine Mitbewohnerin verlassen können. Und bevor ich das Risiko eingehe, die falsche Person in meinem Haus wohnen zu haben, bleibt das Zimmer eben frei.“

Der 27jährige Janis studiert Sonderpädagogik in Köln und lebt dort seit mehr als zwei Jahren in einer Wohnpartnerschaft mit einer 82jährigen Dame. „Da ich in einer separaten Wohnung auf demselben Hausflur wohne, gestaltet sich die Situation schon etwas anders als in den meisten Fällen bei Wohnen für Hilfe. Nach der Uni klingele ich jeden Abend bei ihr und frage, ob sie irgendwelche Hilfe benötigt.“ Als Motivation für eine solche Wohnform sieht Janis eindeutig das Zwischenmenschliche. Aber auch der finanzielle Aspekt spielt eine große Rolle für ihn. „Die Wohnung und ihre Lage liegen deutlich über dem Niveau, das ein Student sich sonst leisten könnte.“

Neben Janis sind in Köln seit 2009 etwa 220 solcher Wohnpartnerschaften entstanden. Das Kooperationsprojekt zwischen Stadt, Universität und Seniorenvertretung Köln läuft seit dem Jahre 2009 wieder auf Hochbetrieb. Zuvor war das Projekt ab 2005 drei Jahre lang durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW gefördert worden. Unter der Projektleitung von Heike Bermond und Sandra Wiegeler finden Menschen älteren und jüngeren Semesters zusammen. Unterstützung erfahren sie dabei durch eine studentische Hilfskraft. „Unsere Arbeit besteht hauptsächlich aus Kommunikation. Wir sprechen mit Studierenden, mit Wohnraumanbietern und schauen dann, was passen könnte.“ Nachdem das Projektteam Gespräche mit interessierten Studierenden geführt hat, trifft es sich mit den Wohnraumanbietern und prüft das entsprechende Wohnobjekt vor Ort auf Vermittlungsfähigkeit.  „Auch für uns ist das eine ganz spannende Aufgabe. Man öffnet die Tür und weiß nicht, was kommt.“ Bei einem ersten Gespräch der potentiellen Wohnpartnerschaft halten sie sich bewusst zurück und begleiten nur auf Anfrage. Heike Bermond hat die Erfahrung gemacht, dass „es sonst schnell einen Kontrollcharakter erhält und die Stimmung künstlich wirkt“. Ausdrücklich empfohlen wird hingegen das Probewohnen, um nicht gleich „die Katze im Sack zu kaufen“. Doch auch über die Vermittlung des Wohnpartners und Abschluss des Wohnraumüberlassungsvertrags hinaus betreut die Projektleitung die Wohnpartnerschaften. Ihrer Verantwortung ist sich die Projektstelle dabei bewusst. „Die Wohnraumanbieter vertrauen uns völlig.“ Doch natürlich gibt es auch skeptische Stimmen und Ängste zwischen den Generationen. Sorgen Studierende sich besonders vor völliger Vereinnahmung durch den Wohnpartner, so fürchten ältere Menschen sich häufig vor „studentischem Verhalten“ inklusive Party, Drogen und lauter Musik. Doch die Vorurteile lassen sich erfahrungsgemäß schnell abbauen, da die Interessenten an diesem Projekt allgemein durchaus offen eingestellt sind.  Diese alternative Wohnform wird in Köln gut angenommen – davon zeugen auch die knapp 2500 Anfragen, die nicht berücksichtigt werden können, weil die Interessenten beispielsweise keine Studierenden sind oder nicht aus Köln kommen.

Auch in anderen Städten NRWs wie Düsseldorf, Siegen, Paderborn und Münster gibt es das Wohnprojekt bereits seit Längerem. „Wieso also nicht in Bonn?“, dachte sich Alice Barth, und setzt sich inzwischen in der AStA-Projektstelle „Studentisches Wohnen“ für die Einführung dieser alternativen Wohnform in Bonn ein. Begonnen hat ihr Engagement mit einer Umfrage zur Wohnsituation Bonner Studierender. Seit Anfang dieses Jahres arbeitet sie nun an der Ausarbeitung des Konzepts, verschafft sich einen Überblick über die Erfahrungen des Wohnprojekts in anderen Städten und sucht Sponsoren. „Als Anschubfinanzierung für das erste Projektjahr, beginnend ab Herbst 2013, ist ein Antrag auf Förderung einer Stiftung vorgesehen, mit dem eine 400-Euro-Stelle bezahlt werden soll. Geplant sind diverse Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit, Informationsgespräche mit Interessenten und eine individuelle Vermittlung und Betreuung der Wohnpartnerschaften.“

Alice zeigt sich optimistisch. „Zum Teil habe ich das Gefühl, man rennt offene Türen ein, weil so viele Leute das Projekt gut finden.“

Auf der Party teilt man Snack und Swag. Zeichnung: Valerie Esch

Auf der Party teilt man Snack und Swag.
Zeichnung: Valerie Esch

Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen