TITEL Sie wissen nicht, was kommt, aber sie fürchten es auch nicht: Die Studierenden von heute haben keine Angst vor ihrer Zukunft – egal, wie sie aussehen wird. Drei junge Menschen erklären, was sie mit ihrem Studium, ihrer Zukunft, ihrem Leben vorhaben.
VON ALEXANDER GRANTL
Als Gavin auf die Welt kam, waren seine Eltern gerade 21. Sie steckten mitten im Studium. Gavin wuchs nicht wie ihr Kind auf, sondern wie ihr Freund. Mit zwei Jahren spielte ihm seine Mutter das »Schlaflied« der »Ärzte« vor – den gruseligen Text verstand er nicht, aber die liebliche Melodie gefiel ihm. Als er vier, fünf war, nahmen sie ihn mit auf Partys. Er mixte Cocktails, lernte, wie man Platten auflegt. »Das klingt trauriger, als es ist. Eigentlich war es fantastisch«, sagt Gavin. Er wurde 1989 in Oberhausen geboren. Als er in der vierten Klasse war, zogen seine Eltern mit ihm nach Mülheim an der Ruhr. Sein soziales Umfeld brach weg, seine Noten brachen ein. Für die fünfte und sechste Klasse ging er aufs Gymnasium, dann musste er auf eine Realschule wechseln – Mathe und Religion waren Schuld. Seine Mutter brachte ihn zu einem Lernpsychologen, »der feststellen sollte, ob ich zu doof war.« War er nicht, aber trotzdem lief es auf der Realschule nicht gut. In der achten Klasse blieb er sitzen – Französisch. Er begann, sich sozial zu entdecken: grüne Haare, Theater-AG, Schulsprecher, »das volle Programm«, wie er es nennt. In der zehnten Klasse wechselte er mit einem 2,0-Schnitt auf eine Gesamtschule. Wegen Mathe und Physik verfehlte er dort die Qualifikation fürs Abitur, musste ein Jahr wiederholen. »Da habe ich dann richtig reingehauen und das Abi endlich mit 3,1 bestanden.«
21 Jahre im Schnelldurchlauf. Heute ist Gavin 27. Er sitzt zurückgelehnt im Studio vom Campusradio bonnFM. Er ist Chefredakteur des Senders, sitzt im Vorstand und moderiert hier regelmäßig. »Ich war nie ein Vorzeigeschüler, aber immer der Klassenclown«, sagt er amüsiert und spielt mit einer Wasserflasche. Achtmal musste er in seiner Kindheit eine neue Schulklasse kennenlernen, fünfmal davon war er »der Neue«, musste sich in eine bestehende Klasse eingliedern. »Am Anfang war das schwierig, aber im Laufe der Zeit hat es immer besser funktioniert. Heute nehmen Führungskräfte Kurse, um Social Engineering zu lernen. Ich habe es mir selbst beigebracht.«
Wer Gavin fragt, was er studiert, muss ein wenig Zeit mitbringen. Eingeschrieben ist er für Germanistik, vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, im Nebenfach katholische Theologie. »Zuerst dachte ich auch: Germanistik ist genau mein Ding.« Nach dem ersten Semester hat er aber keine Lehrveranstaltung mehr belegt. »Ich hatte ein Seminar, für das ich innerhalb eines Semesters zwölf Romane hätte lesen müssen. Da wusste ich schnell: Das ist nichts für mich.« Er ist nicht der Typ, der sich in die Bibliothek setzt und Hausarbeiten schreibt. Als er mit der Schule fertig war, leistete er zunächst Zivildienst bei der Aidshilfe in Köln. Das findet man bei Menschen in Gavins Alter immer seltener: Zwischen 2001 und 2013 sank die Zahl der Studierenden, die einen Zivildienst aufnahmen, von 48 Prozent auf 32 Prozent. Das steht im sogenannten Studierendensurvey, den die Universität Konstanz alle zwei, drei Jahre für das Bundesbildungsministerium durchführt. Im Anschluss an seinen Zivildienst begann Gavin eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann, auch bei der Kölner Aidshilfe. Er lernte, wie man Veranstaltungen organisiert, Charity-Events, wie die Kölner Aidsgala. »Vorbereiten, durchführen, nachbereiten – das ist der Dreiklang des Veranstaltungskaufmanns«, erklärt er. Dass Studierende an Universitäten vor ihrem Studium eine berufliche Ausbildung aufgenommen haben – wie Gavin – ist selten. Es trifft nur auf etwa 12 Prozent zu. Das ist nicht neu – immer mehr junge Menschen steigen direkt nach ihrem Abitur in das Studium ein: 1993 waren es 44 Prozent, 2003 schon 50 Prozent und 2013 bereits 60 Prozent. Berufsausbildungen, Berufstätigkeiten, Wehr- oder Zivildienst vor dem Studium werden immer seltener.
2014 schloss Gavin seine Ausbildung ab – mit Bestenehrung. »Ich war nicht schlecht in dem Beruf, aber für mich war es nicht das Richtige. Ich dachte, Excel und so – das kann nicht alles sein. Ich bin eher kreativ und möchte mich verwirklichen – das konnte ich als Veranstaltungskaufmann nicht.« Also entschied er sich für das Studium. Eine falsche Entscheidung.
Lisa war ein schüchternes Kind. Oft waren es ihre Eltern, die Freundschaften für sie knüpften. Als sie fünf war, trennten sich die Eltern. Für Lisa kein großes Thema – Mutter, Vater und eine Stiefmutter, sie fühlte sich nie allein. Sie erzogen sie fürsorglich, ohne es zu übertreiben. Ihre Mutter und ihre Stiefmutter lasen ihr vor, die »Wilden Hühner« von Cornelia Funke, die liebt Lisa immer noch. Bis heute stehen die Bücher in ihrem Regal. Oft gingen ihre Eltern mit Lisa ins Museum, Bildung war ihnen wichtig. Und, dass Lisa ein sozialer Mensch wird: »Es lag ihnen am Herzen, dass ich verstehe, dass die Menschen unterschiedlich denken. Dass ich niemanden vorschnell verurteile.« Weltoffen sollte ihre Tochter werden, selbstbewusst auch. Und an ihrer Verpeiltheit arbeiten, nicht mehr so häufig zu spät sein. Mit 13 trug sie Baggy Pants und Krawatten, schminkte sich mit Kajal – ihre Avril Lavigne-Phase. Die Mitschüler fragten, ob sie sich Edding um die Augen geschmiert habe oder Daniel Kübelböck imitiere. Irgendwann begeisterte ihr Vater sie für Phil Collins, Bruce Springsteen und U2, mittlerweile ist sie musikalisch für fast alles offen. Auch für Klassik – aber nur Tschaikowski.
Lisa wurde 1993 in Köln geboren, heute wohnt sie in Brühl, in einer Wohngemeinschaft mit ihrer Mutter. Sie nennt das »Mädels-WG« und lacht. Weil sie ihrer Mutter nicht immer auf der Tasche liegen will, zahlt sie ihr Miete. »Es ist nicht ideal, aber es funktioniert«, sagt Lisa. Bisher hat sie noch nicht alleine gelebt. Das gilt für ihre Altersgruppe als typisch: Fast 40 Prozent der 22- bis 25-Jährigen leben noch bei ihren Eltern, mehr als früher. Vor ein paar Jahren suchte Lisa nach einer Wohnung in Köln, viele ihrer Freunde zogen dorthin. »Es war aber unmöglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden.«
Lisa studiert im ersten Semester das Master-Studienfach English Literatures and Cultures, vor einem Jahr schloss sie ihr Bachelorstudium ab: sieben Semester Germanistik. Das ist keine ungewöhnliche Wahl für junge Frauen wie Lisa: Anglistik, Germanistik und Romanistik sind in ganz Deutschland frauendominiert – in der Anglistik finden sich zu 88 Prozent, in der Germanistik zu 81 Prozent Frauen. Auch heute noch folgen junge Menschen traditionellen Mustern, wenn sie ihr Studienfach wählen – Frauen wie Männer: Ingenieur- und Naturwissenschaften werden an deutschen Universitäten zu 72 Prozent von Männern studiert, Physik zu 81 Prozent, Informatik zu 80 Prozent. Das zeigt der Konstanzer Studierendensurvey genauso wie die Zahlen des Statistischen Bundesamts.
Ihre Bachelorarbeit schrieb Lisa über das Nibelungenlied. Irgendwann wurde das ziemlich ermüdend, das ganze Germanistikstudium hatte sie nie so wirklich gepackt. Sie hatte ihr Studium direkt nach dem Abitur begonnen: »Vom einen Lernen ins andere Lernen«, sagt sie. »Als ich meine Bachelorarbeit endlich fertig hatte, musste ich dann einfach mal raus.« Eine Woche, nachdem sie die Arbeit abgab, flog Lisa für sechs Monate nach Las Vegas.
Monika war noch nie in Las Vegas. Aber in Bornheim, wo sie aufgewachsen ist. Sie war ein zufriedenes und anständiges Kind, hat ihren Eltern kaum Probleme gemacht, sie mussten selten mit ihr schimpfen. Mit sechs Jahren begann sie Blockflöte zu spielen, auch auf Wettbewerben, ihre strenge Musiklehrerin bestand darauf. Fragt man Monika nach ihrer Kindheit, muss sie lange überlegen. Dann sieht sie aus dem Fenster, verzieht den Mund und sagt knapp: »Ich hatte immer alles, was ich wollte. Klar, auch materiell, aber vor allem Liebe und Zuneigung. Davon war viel da. Kann nicht klagen. Familie war gut.« Ihre Eltern ließen ihr viele Freiräume, Monika lernte früh, eigene Entscheidungen zu treffen. »Sie wollten vor allem, dass ich glücklich bin.«
So verschieden ihre Lebenswege auch sind, eines eint Gavin, Lisa und Monika: Sie beschreiben ihre Kindheit als glücklich. Das ist typisch – 92 Prozent der 12- bis 25-Jährigen beschreiben das Verhältnis zu ihren Eltern mindestens als gut. Selbst Kinder, deren Eltern sich geschieden haben – wie Lisas. Auch geschiedene Eltern sorgen in der Regel weiterhin gut für ihre Kinder. Das ist ein Ergebnis der Shell Jugendstudie 2015, die etwa alle vier Jahre ein umfassendes Bild der jungen Menschen in Deutschland zeichnet. Diese jungen Menschen sind heute vor allem die Kinder der 68er-Generation und ihrer Nachfahren. Der Jugendforscher Prof. Klaus Hurrelmann, der an der Shell Jugendstudie mitarbeitete, erklärt in der Studie den Zusammenhang: Während die 68er gegen die verstaubten Verhältnisse rebellierten und sich auch gegen ihre Eltern auflehnten, wollen sie den eigenen Kindern keinen Anlass zum Aufstand geben. Die Eltern erwarten zwar Leistung von ihren Kindern, bieten ihnen dafür aber auch länger ein harmonisches Zuhause.
Monika wohnt heute nicht mehr bei ihren Eltern. Als sie im dritten Semester war, zog sie aus. Von Bornheim in Bonns Nordstadt, etwa zehn Kilometer auseinander, in ein privates Studentenwohnheim. Dort hat sie 20 Quadratmeter für sich, eine gute Verkehrsanbindung und ist zufrieden. Sie studiert den Master of Mathematics, ein englischer Titel, denn die Mathematik in Bonn hat einen guten Ruf und viele internationale Studierende. Nebenbei gibt Monika Tutorien, meist für Informatik- und Lehramtsstudierende, und hilft bei der Korrektur von Klausuren. So verdient sie ihre Miete und muss ihren Eltern nicht auf der Tasche liegen.
Dass Monika nach dem Abitur studiert, war für sie keine Frage. »Die Schule hat mich nie genug gefordert. Ich wollte wissen, wo meine Grenzen liegen«, sagt sie und deutet mit ihren Unterarmen eine Schranke an. Dass Mathematiker gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben, ist für Monika ein glücklicher Zufall: »Ich musste mich nie entscheiden, zwischen dem, was ich konnte und dem, was gut für mich ist.« Wie Monika gibt es immer mehr Studierende, die von vorneherein wissen, dass sie nach der Schule ein Studium aufnehmen möchten: Ihre Zahl stieg von 51 Prozent in 2001 auf 58 Prozent im Jahr 2013. Und Kinder wie Monika, deren Eltern ebenfalls studiert haben, treffen die Entscheidung für ein Studium viel sicherer als Abiturienten aus bildungsfernen Elternhäusern.
Sich einer Entscheidung sicher sein – das ist so eine Sache. Als Lisa die Zusage bekam, dass sie für ein paar Monate in einem Hostel in Las Vegas arbeiten konnte, war sie sich ihrer Entscheidung sehr sicher. Als sie dann auf dem Hinflug am Flughafen von Chicago strandete, nicht mehr so ganz. »So lange war ich noch nie aus Deutschland weg. Das war was ganz Besonderes«, sagt Lisa. Sie redet immer schnell und viel, aber wenn es um »die Staaten« geht, sprudelt sie vor Begeisterung. Zweimal war sie für je drei Monate in Las Vegas – im letzten Sommer und noch einmal von Dezember bis März. Mit ihrem Besuchervisum durfte sie sich nur längstens drei Monate in den USA aufhalten. Im kleinen »Hostel Cat« arbeitete sie zuerst an der Rezeption – Gäste begrüßen, sie animieren, beim abendlichen Ausflug mitzukommen. Kundenkontakt war Lisa gewohnt, in Brühl arbeitet sie an der Kasse eines Buchgeschäfts, davor an der Kasse der Kölner Pferderennbahn. Bei ihrem zweiten Aufenthalt wurde sie zum »Head of Housekeeping« – den anderen Anweisungen geben, auch mal kritisieren – selbst im freundschaftlichen Ton fiel ihr das nicht immer leicht. Für ihre Jobs wurde sie nicht bezahlt, aber konnte kostenlos im engen Personal-Schlafraum des Hostels wohnen. Mit ihr waren zwanzig andere junge Menschen im Hostel beschäftigt, die aus der ganzen Welt kamen: »Das war wahnsinnig interessant – so viele verschiedene Persönlichkeiten, Sprachen, Kulturen, mit denen man lange zusammenleben muss.«
Seit April läuft ihr Masterstudium in Bonn. Es macht ihr viel Spaß, sie liebt die englische Sprache, den Austausch über englische Literatur. »Aber ich studiere den Master auch, weil ich das zu Ende bringen will, was ich angefangen habe. Der Abschluss wird eine gute Basis sein.« Für die Sozialforscher der Uni Konstanz ist das eine besonders wichtige Frage. Warum entscheiden sich Studierende für ihr Studienfach? Der Hauptgrund ist tatsächlich das Interesse an ihrem Fach – mit 74 Prozent. Dann folgen Faktoren wie die eigene Begabung (60 Prozent) und die Vielfalt von beruflichen Möglichkeiten (48 Prozent). Motive wie ein hohes Einkommen (28 Prozent) oder die Aussicht auf eine Führungsposition (16 Prozent) rangieren weiter hinten. Dies gilt für Studierende an Universitäten. Studierende an Fachhochschulen legen dagegen mehr Wert auf ein hohes Einkommen (37 Prozent) und die Aussicht auf eine Führungsposition (30 Prozent).
Führungsposition?« Monika lächelt. In einer Führungsposition kann sie sich noch nicht vorstellen. »Im Studium fühle ich mich von allem fern, was man Arbeitswelt nennen könnte«, sagt sie. Ihre Noten sind Monika wichtig. Sie lernt nicht »auf Bestehen«, sondern so viel, wie sie kann. »Aber selbst dann bekommt man keine 1,0. Eigentlich muss man noch mehr lernen, als es geht.« Monika sagt, ihr geht es nicht so sehr darum, am Ende ein gutes Masterzeugnis zu bekommen. Es ist ihr eigener Ansporn, das »schöne Gefühl«, wenn man in der Prüfung eine 1 hat. Bei Lisa ist das ähnlich: Ein gutes Masterzeugnis ist zwar eine tolle Sache, aber ein Arbeitgeber, dem die Note wichtiger ist als Charakter und Engagement des Bewerbers – nein, das findet sie blöd. »Es ist wichtig, mit der eigenen Persönlichkeit zu überzeugen, nicht mit der Note.«
Ein Bachelor- oder Masterzeugnis hatte Gavin nicht, um seinen Arbeitgeber zu überzeugen. Er arbeitet als freier Autor für den Online-Auftritt eines öffentlich-rechtlichen Radiosenders. Immer wieder moderiert er auch verschiedene Veranstaltungen – im Juli etwa eine Pyrotechnik-Show in Bottrop. Oder seine eigene kleine Late-Night-Show, die er mit Freunden ein paar Mal im Jahr vor Publikum präsentiert. Oder eine Radio-Talkshow, die aber nur im Internet läuft. Mit diesen Projekten verdient er nicht immer Geld, oft kostet es ihn sogar welches. Gelegentlich ist er auch noch in seinem gelernten Beruf als Veranstaltungskaufmann unterwegs.
Mit 21, direkt nach dem Abitur, war er bei seinen Eltern ausgezogen. Er landete in einer WG in Köln, die sich nur über das Internet zusammengestellt hatte. Eine schlechte Idee, einer der Mitbewohner »war eine soziale Katastrophe«, sagt Gavin. Danach wohnte er mit seiner damaligen Partnerin zusammen, dann allein. Heute lebt er mit seiner Freundin in der Bonner Altstadt. Und Gavin lebt im Internet. Aber nicht alleine: Bei Twitter folgen ihm über 2.000 Menschen, die täglich seine pointierten 140-Zeichen-Botschaften lesen. Seit zehn Jahren gibt es Twitter, seit acht Jahren ist er dabei. Er hat einige seiner besten Freunde dort kennengelernt, seinen Job gefunden. »Ich profitiere mittlerweile mehr von Twitter, als Twitter von mir.« Sein Vater ist Softwareentwickler, den ersten Computer bekam Gavin mit sechs Jahren, da veröffentlichte Microsoft gerade Windows 95. Mit zehn meldete Gavin bei WEB.de seine erste E-Mail-Adresse an – eine seiner frühen Erinnerungen ans Internet. 2001 registrierte er sich bei ICQ, seine Nummer kennt er noch heute. Neun Stellen, vorne eine 1 – etwas Besonderes. Seine Freunde meldeten sich erst später an und bekamen viel längere Nummern.
Das erste Handy bekam Gavin mit elf. Ein NOKIA 33 10, robust, aber nicht mehr als ein Gerät zum Telefonieren, SMS schreiben und Snake spielen. Lisa und Monika haben ähnliche Erinnerungen an ihr erstes Mobiltelefon. Das nutzten sie vor allem, um mit den Eltern zu telefonieren – Bus verpasst, Turnbeutel vergessen, früher Schule aus. Kein Spielzeug, kein allgegenwärtiges Lexikon oder Unterhaltungsinstrument. Heute haben sie alle drei ein Smartphone.
Gavin hat sein iPhone immer im Blick, kein Wunder, er bekommt im Sekundentakt Benachrichtigungen. Er nutzt Snapchat, Instagram, Periscope, Flickr, vor allem aber Twitter und Facebook. Nur Tumblr und Pinterest mag er nicht. Gavin ist ein Meister des Social Webs. Das ist der Teil des Internets, den 90 Prozent der 12- bis 25-Jährigen regelmäßig nutzen, 57 Prozent mindestens einmal am Tag. Damit liegen die sozialen Netzwerke weit vorn in der Gunst der jungen Menschen. Nur 37 Prozent nutzen das Internet hingegen mindestens einmal in der Woche, um sich über Politik und Gesellschaft zu informieren, viel häufiger hören sie online Musik, chatten oder spielen. Dabei stehen viele junge Menschen den sozialen Medien eigentlich kritisch gegenüber, auch das zeigt die Jugendstudie von Shell: 61 Prozent der 22- bis 25-Jährigen sind sich bewusst, dass Konzerne wie Facebook mit den Nutzerdaten viel Geld verdienen. Die jüngeren Nutzer sind weniger kritisch.
Kritisch gering ist auch das Interesse an Politik: Zwar stieg es bei den 12- bis 25-Jährigen in den letzten Jahren auf 41 Prozent in 2015, während es 2010 noch bei 36 Prozent lag – doch viel ist das nicht. Gavin ist politisch. Anders geht es nach seinem Verständnis auch gar nicht: »Man kann nichts Unpolitisches machen. Alles ist politisch.« Diese Auffassung nennt Jugendforscher Hurrelmann charakteristisch für diese Generation: Die jungen Menschen begreifen Politik stärker denn je als ganzheitlich – nicht mehr als die klassische, abgegrenzte Parteipolitik. Eine gemeinsame Solidarisierung, die sich früher schon mal in großen Demonstrationen äußerte, kennt diese Generation nicht mehr, schreibt Hurrelmann. Wenn sie Engagement zeigt, dann »aus einer Mischung aus Eigeninteresse mit dem Ziel der Selbstentfaltung und der Erwartung, auf diese Weise würde indirekt auch die Gesellschaft profitieren.«
Studieren, arbeiten, verreisen – das alles verändert sich, wenn man Kinder hat. Gavin, Lisa und Monika wünschen sich Kinder. Noch nicht jetzt sofort, aber wenn es finanziell möglich ist, wenn der Job passt, wenn der richtige Moment da ist, dann schon. In ihrer Altersgruppe geht der Kinderwunsch allerdings zurück: Von den 12- bis 25-jährigen Befragten der Shell-Studie wünschen sich nur noch 64 Prozent Kinder, 2010 waren es 69 Prozent. Und wie wichtig ist eine eigene Familie für das persönliche Glück? Auch hier ist der Zuspruch seit 2010 gesunken, besonders die männlichen Befragten machen ihr Glück nicht mehr so stark von einer eigenen Familie abhängig.
Egal, ob Kinder oder nicht – wichtig ist den jungen Menschen auch eine gute Arbeit. Darunter verstehen sie nicht nur ein hohes Einkommen, sondern auch Faktoren wie die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. »Weiche Faktoren« nennt das der Sozialforscher Hurrelmann. Dass junge Menschen viele Erwartungen an ihren Arbeitgeber haben, ist eine neue Entwicklung, die in der aktuellen Jugendstudie zum ersten Mal untersucht wurde: »Und da kommt heraus, dass natürlich in Zeiten unsicherer Arbeitsverträge Sicherheit ganz oben steht. Auch andere Dinge, wie guter Verdienst und ein angenehmes Arbeitsverhältnis spielen eine große Rolle«, schreibt Hurrelmann. Aber eben auch die weichen Faktoren: persönliche Erfüllung, Entfaltung und Spaß an der Arbeit. Menschen, die von ihren Eltern gut umsorgt wurden, erwarten das auch von ihrem Arbeitgeber. Vor allem von jungen Frauen werde zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie thematisiert. »Für mich ist das absolut kein Widerspruch«, sagt Monika. Auch Gavin und Lisa wollen von ihrem Arbeitgeber nicht gezwungen werden, sich für eines zu entscheiden. »Ich denke, die Unternehmen werden merken, was hier für eine selbstbewusste Generation kommt, darunter immer mehr Frauen«, schreibt Hurrelmann. Für ihn ist klar: Diese Generation will sich und ihre individuellen Wünsche, Ziele und Kompetenzen in den Beruf einbringen: »Und Unternehmen, die das nicht anbieten können, werden in den kommenden Jahren ganz große Schwierigkeiten haben, hochqualifizierte junge Leute zu bekommen.«
Wenn das Wintersemester beginnt, will Gavin kein Student mehr sein. Der Status als »Passivstudent« macht ihn nicht glücklich. Er will seine freie Mitarbeit für den Radiosender vorantreiben. »Und dann? Mal sehen.« Große Pläne für die Zukunft macht er nicht. Hat er Angst vor der Zukunft? »Nö. Ich hab Bock. Ich freue mich auf meine Zukunft.« Das sehen 61 Prozent der jungen Menschen ähnlich. Sie blickten 2015 optimistisch in die Zukunft, mehr als 2010 (59 Prozent), mehr als 2006 (50 Prozent) und mehr als 2002 (56 Prozent).
Die Zeit in Las Vegas hat Lisa verändert. Die Mentalität dort hat ihr geholfen, nicht immer alles zu skeptisch zu sehen. »Früher hatte ich so eine ›Alles geht schief‹-Einstellung. Das hat sich geändert. Heute sage ich deutlich häufiger ›Das wird schon.‹« Auch sie macht sich noch keine Gedanken über die Zeit nach dem Studium. »Wenn man keinen Plan hat, kann der auch nicht schiefgehen. Aber vielleicht bin ich eines Tages mal nicht mehr in Deutschland. Wer weiß.«
Auch Monika ist eher mit der Gegenwart als der Zukunft beschäftigt. Gerade hat sie ihre Masterarbeit angemeldet – Abgabe ist im Mai 2017. »Eine gewisse Vorstellung meiner Zukunft habe ich zwar. Aber was heißt das schon? Es kann sich einfach so viel ändern. Ich bin frohen Mutes, dass nichts Schlechtes auf mich wartet.« ◄
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