Selber Schuld?

GEISTESWISSENSCHAFTEN  Sie haben es nicht einfach: kaum feste Stellen, schwammige Perspektiven und dauernd: »Was soll mal aus dir werden?« Zu ihrer Lage tragen Geisteswissenschaftler selber bei – sagt der Bonner Lehrbeauftragte Alexander Kleinschrodt.

VON SOHIEL PARTOSHOAR

Fotomontage: Sohiel Partoshoar / AKUT

Fotomontage: Sohiel Partoshoar / AKUT

»Ich habe vierzehn Semester studiert!« Alexander Kleinschrodt wirkt nicht beschämt ob dieser Aussage. Im Gegenteil: »Ich habe vierzehn Semester ganz intensiv studiert.« Dabei ist es gerade einmal zehn Jahre her, dass er in Bonn sein Magisterstudium der Musikwissenschaften, Kunstgeschichte und Germanistik begann. Er wurde studentische Hilfskraft, stieg nach dem Abschluss in eine Promotion ein und sammelte reichlich Erfahrung als Dozent. Insofern ist nachvollziehbar, wenn er betont, dass jedes einzelne Semester sinnvoll gewesen sei.

Zehn Jahre können die Welt bedeuten – wer heute eine zweistellige Semesterzahl vorweisen kann, wird offener mit Argwohn betrachtet. Das Stichwort Bologna bezeichnet der 30-Jährige etwas abschätzig als »Gemeinplatz« und gibt doch im Hinblick auf die deutlich kürzeren Regelstudienzeiten im Bachelorstudium zu bedenken: »Bedenklich finde ich, dass die Vorgaben für das Studieren und die realen Bildungskarrieren nach meiner Wahrnehmung oft genug auseinanderdriften.« Kleinschrodt hat sich allen Debatten zum Trotz nicht von seiner Überzeugung abbringen lassen, dass eine individuelle Laufbahn fernab willkürlicher Fristen und Einschränkungen doch noch erstrebenswert sein könnte.

Dies scheint er beispielhaft vorzuleben: Im Fach Musikwissenschaften/Sound Studies hat er im Laufe einiger Jahre Seminare geleitet, in denen er die Beziehungen zwischen sogenannter ernster und populärer Musik sowie das Spannungsfeld zwischen Musik und Klang ausgelotet hat. Inzwischen konzentriert er sich auf interdisziplinär ausgerichtete Optionalmodule; im Wintersemester 2015/16 etwa mit dem Kurs »Umwelt und Nachhaltigkeit als Gegenstand der Geistes- und Kulturwissenschaften«. Er engagiert sich seit Jahren in der Werkstatt Baukultur Bonn, einem kunsthistorisch geprägten Bonner Kollektiv, das öffentliche Debatten zu Architektur, Städtebau und Denkmalpflege anregen und bereichern möchte. Zudem hat er für eine Lokalredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers vorwiegend Konzertkritiken geschrieben – »und alles andere«, was auch Berichte zu Karnevalsumzügen einschließt.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Kleinschrodt im Kern Kulturwissenschaftler sei, was er allerdings präzisiert wissen möchte: »Ich sehe meinen Platz zunehmend zwischen der reinen Wissenschaft und der Öffentlichkeit.« Die Herausforderung bestehe darin, die eigene fachliche Spezialisierung im Berufsleben beizubehalten und sie konstruktiv einzubringen, was insbesondere einigen Geisteswissenschaftlern schwerzufallen scheint. Etwa im Journalismus werde noch oft eingeworfen: »›Wissenschaft und Journalismus muss man sprachlich trennen, man muss alles von der Uni vergessen‹ – das halte ich für ein ganz übles Klischee.«

Hierbei stellt er die Frage: »Warum gelingt es zum Beispiel Neurowissenschaftlern so viel besser, ihre Themen zu platzieren? Warum gilt es anscheinend nicht als attraktiv, einen Germanisten oder Musikwissenschaftler zu befragen, wenn ein Expertenstatement gebraucht wird?« Den Einwurf, dass die Geisteswissenschaften ein Imageproblem haben könnten und sich der öffentliche Diskurs auf die sogenannten MINT-Fächer als Fortschrittsbringer fixiert habe, lässt er bestenfalls eingeschränkt zu. Er sieht das Problem an anderer Stelle: »Wieso gilt es denn als Makel, etwa im Feuilleton am öffentlichen Diskurs teilzunehmen?« Dabei paraphrasiert er den Sozialpsychologen Harald Welzer, der den Geisteswissenschaftsbetrieb vielfach in die Mangel genommen hat: »Es gibt da eine selbstverschuldete Marginalisierung, aus der man aussteigen muss. Ich finde da hat Welzer völlig Recht.«

Die Geisteswissenschaften stünden in der Pflicht, die Ursachen dieser »selbstverschuldeten Marginalisierung« zu beheben. Kleinschrodt sieht den Zeichen- und Kulturtheoretiker Umberto Eco als ein Vorbild: »Ich war eine Zeit lang fasziniert von seiner Einführung in die Semiotik. Das Thema ist an sich kompliziert und nicht so leicht zu greifen, aber hier wird es wirklich für den Leser entfaltet.« Und: »Man kann aus unseren Fächern heraus die Themen vermitteln – nicht nur die Gegenstände, sondern auch die Methoden.«

Doch erwartet man das überhaupt von den Geisteswissenschaften? Angesprochen auf die Erwartungshaltung vieler, denen mit Einleitungen wie »Wissenschaftler haben herausgefunden, dass…« klare Antworten auf komplizierte Fragen versprochen werden, präzisiert Kleinschrodt zunächst die Erwartungshaltungen aus seiner Sicht: »Entweder es gibt ein Problem, man forscht und hat dann irgendwann eine Lösung – oder man entdeckt etwas. Diese beiden Erwartungen gibt es. Geisteswissenschaftler machen das aber nicht.«

Am Beispiel der gemeinhin kontroversen Gender Studies erklärt er, wozu Geistes- und Kulturwissenschaftlern tatsächlich imstande sind: »Egal, was man davon hält – das Bewusstsein für solche Fragestellungen hat sich in kurzer Zeit extrem ausgebreitet. Plötzlich verändert sich eine öffentliche Debatte total, weil auf einmal bestimmte Begriffe in der Welt sind, wie eben ›Gender‹.«

Letztlich sieht Kleinschrodt seine Aufgabe darin, Begriffe für fremdartige Phänomene zu finden und sie im wissenschaftlichen Diskurs, aber auch gezielt in der Öffentlichkeit zu platzieren. »Man muss selbstbewusst mit den Mitteln, die Geisteswissenschaftler qua Ausbildung haben, etwas machen. Man muss sie zeigen und nutzen.«

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